Ordnung für den Bauherren

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Recht – SIA und wichtige institutionelle Bauherrschaften haben zusammen die neue SIA-Ordnung 101 erstellt. Sie zeigt auf, was es bedeutet, Bauherr zu sein – und was von ihm im Rahmen eines Bauvorhabens erwartet wird.

Bauvorhaben, selbst kleinere, sind in der Regel hochkomplexe Vorgänge, bei denen viele Beteiligte miteinander zusammenarbeiten und gegenseitig Informationen austauschen. Zu diesen Akteuren zählen Planer und Spezialisten ebenso wie Unternehmer und Lieferanten und, nicht zu vergessen, natürlich Bauherren und deren Berater. Eine erfolgreiche Projektabwicklung steht und fällt damit, dass Informationen rechtzeitig zur Verfügung gestellt und abgerufen werden (können). Dass dies nicht immer der Fall ist, belegen zahllose juristische oder gerichtliche Auseinandersetzungen. Dass es sich bei Bauvorhaben um komplexe Vorgänge handelt, in die es (mit Vorteil) eine gewisse Struktur hineinzubringen gilt, davon zeugen bereits die bekannten Leistungs- und Honorarordnungen (LHO) 102 bis 106 sowie 108 des SIA Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverbands. Diese Ordnungen unterteilen den Planungs- und Bauablauf in sechs Phasen (1 strategische Planung, 2 Vorstudien, 3 Projektierung, 4 Ausschreibung, 5 Realisierung, 6 Bewirtschaftung) resp. in 13 Teilphasen und legen die Leistungen, die von Planer (Architekt, Landschaftsarchitekt, Geologe, Bau-, Maschinen-, Fach-, Elektroingenieur) und Bauleiter in den einzelnen Teilphasen zu erbringen sind, relativ detailliert fest. Nicht selten übersehen wird dabei, dass sich die genannten SIA-Ordnungen nicht nur an die vom Bauherrn beauftragten Planer und Bauleiter richten, sondern dass in jeder Teilphase auch vom Bauherrn gewisse Leistungen und Entscheide erwartet werden. Allerdings werden diese meist eher rudimentär umschrieben und sind auf das vermeintlich Notwendigste beschränkt.

Etwas weiter geht die SIA-Norm 112, Modell Bauplanung, aus dem Jahr 2014. Diese scheint vom Bauherrn in den einzelnen (Teil-)Phasen zwar mehr Leistungen und Entscheide zu verlangen. In aller Regel geht es dabei jedoch nur um die Genehmigung von Arbeitsergebnissen, welche die Planer zuvor geschaffen haben. Dass dem Bauherrn im Rahmen der Planung und Realisierung eines Bauvorhabens eine aktive, gestaltende Rolle zukommt, kommt auch bei der SIA-Norm 112 nur ansatzweise zum Ausdruck. Dies sollte sich mit der neuen SIA-Ordnung 101, Ordnung für Leistungen der Bauherren, aus dem Jahr 2020 nun grundlegend ändern.

Übersicht

Die SIA-Ordnung 101 will nach eigenen Angaben darstellen, was es bedeutet, Bauherr zu sein, und welche Obliegenheiten und Tätigkeiten ihm zugeordnet sind. Sie ist in insgesamt sechs Kapitel gegliedert: Kapitel 1 bis 3 befassen sich in eher allgemeiner Form mit dem Bauherrn, dessen Aufgaben und Stellung gegenüber Planern und anderen Projektbeteiligten; Kapitel 5 handelt, etwas überraschend, von der Vergütung im Falle der Beauftragung von Bauherrenvertretern, -unterstützern und -beratern. Und in Kapitel 6 sind die Definitionen der wichtigsten Begriffe aufgeführt.

Kernstück der neuen SIA-Ordnung 101 bildet das Kapitel 4. Es enthält einen Katalog von Leistungen, die der Bauherr im Rahmen der Planung und Realisierung eines Bauvorhabens in der Regel zu erbringen hat und die der SIA als «aktuelle Best Practice für den Projekterfolg» bezeichnet. Der Aufbau des Leistungsbeschriebs basiert auf dem beschriebenen SIA-Phasenmodell, wobei den sechs bekannten Phasen noch eine Phase 0 mit dem Titel Initialisierung vorangestellt wurde. Unter jeder Phase bzw. Teilphase werden die vom Bauherrn erwarteten Leistungen und Entscheide aufgeführt. Insgesamt zählt der Katalog 429 solcher Leistungen und Entscheide. 

Dass die Beschreibungen der Bauherrenaufgaben bisweilen etwas abstrakt wirken, liegt in der Natur der Sache, schliesslich sollen damit Bauvorhaben unterschiedlichster Art abgedeckt werden. Dennoch ist der Leistungsbeschrieb insgesamt leicht verständlich und gut nachvollziehbar, womit er sich insofern als praxistauglich erweisen dürfte – eine andere Frage ist, ob und auf welchem Wege die SIA-Ordnung 101 denn tatsächlich Eingang in die Praxis finden wird.

Geltung der neuen SIA-Ordnung

 Klarzustellen ist zunächst, dass die neue Ordnung 101 von einem privaten Berufsverband (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverband, SIA) herausgegeben wurde. Es handelt sich mithin um ein privates Regelwerk und nicht um ein Gesetz im formellen oder materiellen Sinne. Der SIA-Ordnung 101 kommt daher grundsätzlich keine allgemeine Rechtsverbindlichkeit zu. Sie gilt nicht einfach so – quasi aus sich selbst heraus. Soll die SIA-Ordnung 101 in einem Rechtsverhältnis als Ganzes oder in Teilen zur Anwendung kommen, so muss sie von den Parteien zum Inhalt des Vertrages erklärt werden.

Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, dass die in der SIA-Ordnung 101 und namentlich im Kapitel 4 aufgeführten Bauherrenleistungen als «Verpflichtungen » des Bauherrn in die Verträge zwischen dem Bauherrn und seinen Beauftragten, insbesondere den Planern, aufgenommen werden. Die Anführungszeichen sind dabei bewusst gesetzt. Denn um echte Verpflichtungen wird es sich dabei kaum handeln. Solche zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass der Belastete im Falle ihrer Nichterfüllung schadenersatzpflichtig wird und der Anspruch von der Gegenseite eingeklagt und gerichtlich durchgesetzt werden kann. Dies wird bei den Bauherrenleistungen der SIA-Ordnung 101, auch wenn sie im Vertrag explizit als Aufgaben des Bauherrn stipuliert worden sind, nicht der Fall sein. Wenn beispielsweise der Bauherr, wie unter Ziff. 4.3.32 der SIA-Ordnung 101 vorgesehen, das Betriebskonzept nicht nachführen oder die Nutzungsvereinbarung oder das Sicherheitskonzept nicht genehmigen will, dann wird ihn die Gegenpartei (Planer) dazu nicht gerichtlich verpflichten können. Es handelt sich mithin um Verpflichtungen minderen Grades, oder juristisch gesprochen: um sogenannte Obliegenheiten. Folgenlos bleibt die Nichterfüllung von vereinbarten Bauherrenleistungen aber dennoch nicht. Kommt der Bauherr einer ihm auferlegten Aufgabe nicht nach, so hat grundsätzlich er und nicht die Gegenseite die negativen Konsequenzen aus seiner Unterlassung zu tragen, sei es, dass es zu Verzögerungen im Planungs- oder Bauablauf kommt oder das Projekt am Ende nicht den gewünschten Anforderungen entspricht (wobei sich hier dann immer auch die Frage nach der Abmahnungspflicht des Planers stellt).

Die Bauherrenleistungen der SIA-Ordnung 101 brauchen indessen nicht gezwungenermassen als Aufgaben des Bauherrn vereinbart zu werden. Ebenso möglich ist es, dass die in der SIA-Ordnung 101 und namentlich im Kapitel 4 aufgeführten Bauherrenleistungen als Verpflichtungen der Gegenseite Eingang in die Verträge zwischen dem Bauherrn und dessen Beauftragten finden. Und hier wurden nun die Anführungszeichen ebenso bewusst weggelassen. Denn wenn Bauherrenleistungen an Beauftragte des Bauherrn delegiert/übertragen werden, dann handelt es sich hierbei um echte Verpflichtungen, die der Beauftragte zu erfüllen hat. Tut er dies pflichtwidrig und schuldhaft nicht, dann wird er dem Bauherrn gegenüber schadenersatzpflichtig.

Auch die SIA-Ordnung 101 befasst sich mit der Übertragung von Bauherrenleistungen und -entscheiden auf Beauftragte des Bauherrn. Im Zentrum steht dabei die Delegation an einen allfälligen Bauherrenberater (BHB), Bauherrenvertreter (BHV), Bauherrenunterstützer (BHU) oder einen Projektleiter des Bauherrn (PL BH). Grundsätzlich spricht indessen nichts dagegen, dass Bauherrenleistungen und -entscheide auch auf andere Beauftragte des Bauherrn übertragen werden, so namentlich auf die Planer (Architekt, Ingenieur etc.).

Der Leistungsbeschrieb in Kapitel 4 der SIA-Ordnung 101 enthält für alle 429 Leistungen und Entscheide des Bauherrn eine mögliche Zuteilung an den Projektleiter des Bauherrn (PL BH) beziehungsweise den Bauherrenunterstützer (BHU). Auf eine Erwähnung des Bauherrenvertreters (BHV) und des Bauherrenberaters (BHB) wurde dabei verzichtet. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zuteilungen an den Projektleiter des Bauherrn (PL BH) auch für den Bauherrenvertreter (BHV) und die Zuteilungen an den Bauherrenunterstützer (BHU) auch für den Bauherrenberater (BHB) gelten.

Zu beachten ist, dass es sich bei den im Leistungsbeschrieb vorgenommenen Zuteilungen lediglich um eine Art Vorschlag oder Empfehlung handelt, von der die Parteien ohne Weiteres abweichen können. Denn selbst bei Entscheiden, welche der Leistungsbeschrieb ausdrücklich dem Bauherrn vorbehält, ist aus rechtlicher Sicht eine Delegation möglich, solange sich der Bauherr dadurch nicht sogenannt «übermässig bindet » (Art. 27 ZGB).

Schlussbetrachtung

Die SIA-Ordnung 101 hält einleitend fest, dass die Ordnung als Ganzes oder in Auszügen zum Vertragsbestandteil erklärt werden könne. Von einer pauschalen Übernahme der Ordnung in den Vertrag ist indessen abzuraten. Dafür sind namentlich die Kapitel 1 bis 3 schlicht nicht geeignet. Aber auch eine unbesehene Übernahme des Leistungsbeschriebs in Kapitel 4 dürfte den konkreten Umständen des Einzelfalls kaum je gerecht werden. Möglich und sinnvoll erscheint hingegen, aus dem Leistungsbeschrieb diejenigen Leistungen auszuwählen, die für das konkrete Projekt passen, und alsdann mit Bezug auf die ausgewählten Leistungen die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten festzulegen.

Dies setzt indessen eine fundierte Auseinandersetzung mit der SIA-Ordnung 101 voraus, und genau darin erkenne ich eine weitere und die vielleicht wichtigste Bedeutung der neuen SIA-Ordnung 101: Die Ordnung ist für den Bauherrn wie für dessen Beauftragten eine ausgesprochen hilfreiche Gedankenstütze und wertvolle Checkliste für die vielen Aufgaben (Leistungen und Entscheide), die es im Rahmen eines Bauvorhabens als hochkomplexen Vorgang zu bedenken und zu erbringen gilt.

Autor: Matthias Tschudi
Bildquelle: Artur Verkhovetskiy/Depositphotos; zVg

 
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