Legal Tech für «Boutique»-Kanzleien: Reflexion aus Sicht eines Bau- und Immobilienanwalts

 

Eine auf das Bau- und Immobilienrecht spezialisierte Kanzlei soll konsequent ihr High-End-Geschäftsmodell, am besten kombiniert mit persönlicher, empathischer Beratung weiterverfolgen. Fachliche Spezialisierung sowie Branchenkenntnisse und -entwicklungen sind laufend zu vertiefen, Businessnetzwerke sind zu pflegen. Dadurch wird das disruptive Potential technologischer Veränderungen wie auch der Kostendruck, der primär bei Standardtätigkeiten und Massengeschäften erheblich ist, massgeblich gemindert. Das Ergebnis aus Leistung (verrechnete Arbeit) und Gegenleistung (verrechneter Preis) hat aus Sicht des Kunden einen Mehrwert zu generieren, auch unter Angebot alternativer Fee-Modelle. Dies erlaubt es mittel- und langfristig, profitabel zu arbeiten oder jedenfalls einer Ertragserosion entgegenzuwirken.

Das allein genügt allerdings nicht. Markt-liberalisierung, Digitalisierung und insbesondere der Kosten- und Wettbe-werbsdruck, ausgelöst durch «Client Pressure» als Erwartungshaltung nach «More-for-Less», zwingen zur Effizienz-steigerung und zu besserer anwaltlicher Dienstleistung. Es braucht einen «digitalen Booster», der auf Langfristigkeit und Agilität ausgerichtet ist.

Ausgangspunkt bildet eine Analyse des Ist-Zustandes der Kanzlei, der alle Aspekte des eigenen Geschäftsmodells umfasst. Dazu gehören auch alle Arbeitsprozesse, der Umgang mit Partnern, Mitarbeitern und Kunden sowie deren Perzeption, ebenso die Art und Weise, wie sich die Kanzlei in der Öffentlichkeit präsentiert und von dieser wahrgenommen wird. Verbesserungen von Prozessen und Arbeitsmethoden gehen einher mit einer Digitalisierungsstrategie, die mehr oder weniger «radikal» Veränderungen nach sich ziehen wird. Eine massgeschneiderte digitale Kanzlei wird das Ergebnis sorgsamer Evaluation auf Mehrwertpotential für Kunde und Kanzlei sein, in Umsetzung aller effizienz-steigernden kostenadäquaten IT-Mass-nahmen.

Auf dem Weg zu einer Bau- und Immobilien-rechtskanzlei mit digital optimal agierenden, zukunftsgestaltenden «Trusted Advisors» stehen mehrere weitere Aspekte im Fokus:

Zuallererst ist eine grundlegende digitale Ertüchtigung aller Kanzleimitarbeiter (Anwälte und Assistenz) zu fördern und zu schulen. Das betrifft insbesondere bereits verwendete Standardsoftware, mithin die gängigen Textverarbeitungs-, Kommunikations- und Datenmanagementsysteme. Dadurch sind erhebliche Effizienzgewinne zu erreichen. Moderne Digitaltechnik hilft einerseits, von repetitiven und mühsamen Arbeiten zu entlasten, andererseits kann dadurch in der gleichen Zeit grösserer Output erzielt werden. Mitarbeiter sollen in digitale Veränderungsprozesse integriert werden, um deren Verständnis und Motivation zu steigern.

Eine auf das Bau- und Immobilienrecht spezialisierte Kanzlei soll konsequent ihr High-End-Geschäftsmodell, am besten kombiniert mit persönlicher, empathischer Beratung weiterverfolgen. Fachliche Spezialisierung sowie Branchenkenntnisse und -entwicklungen sind laufend zu vertiefen, Businessnetzwerke sind zu pflegen. Dadurch wird das disruptive Potential technologischer Veränderungen wie auch der Kostendruck, der primär bei Standardtätigkeiten und Massengeschäften erheblich ist, massgeblich gemindert. Das Ergebnis aus Leistung (verrechnete Arbeit) und Gegenleistung (verrechneter Preis) hat aus Sicht des Kunden einen Mehrwert zu generieren, auch unter Angebot alternativer Fee-Modelle. Dies erlaubt es mittel- und langfristig, profitabel zu arbeiten oder jedenfalls einer Ertragserosion entgegenzuwirken.

Das allein genügt allerdings nicht. Markt-liberalisierung, Digitalisierung und insbesondere der Kosten- und Wettbewerbsdruck, ausgelöst durch «Client Pressure» als Erwartungshaltung nach «More-for-Less», zwingen zur Effizienzsteigerung und zu besserer anwaltlicher Dienstleistung. Es braucht einen «digitalen Booster», der auf Langfristigkeit und Agilität ausgerichtet ist.

Ausgangspunkt bildet eine Analyse des Ist-Zustandes der Kanzlei, der alle Aspekte des eigenen Geschäftsmodells umfasst. Dazu gehören auch alle Arbeitsprozesse, der Umgang mit Partnern, Mitarbeitern und Kunden sowie deren Perzeption, ebenso die Art und Weise, wie sich die Kanzlei in der Öffentlichkeit präsentiert und von dieser wahrgenommen wird. Verbesserungen von Prozessen und Arbeitsmethoden gehen einher mit einer Digitalisierungsstrategie, die mehr oder weniger «radikal» Veränderungen nach sich ziehen wird. Eine massgeschneiderte digitale Kanzlei wird das Ergebnis sorgsamer Evaluation auf Mehrwertpotential für Kunde und Kanzlei sein, in Umsetzung aller effizienzsteigernden kostenadäquaten IT-Massnahmen.

Auf dem Weg zu einer Bau- und Immobilien-rechtskanzlei mit digital optimal agierenden, zukunftsgestaltenden «Trusted Advisors» stehen mehrere weitere Aspekte im Fokus:

Zuallererst ist eine grundlegende digitale Ertüchtigung aller Kanzleimitarbeiter (Anwälte und Assistenz) zu fördern und zu schulen. Das betrifft insbesondere bereits verwendete Standardsoftware, mithin die gängigen Textverarbeitungs-, Kommunikations- und Datenmanagementsysteme. Dadurch sind erhebliche Effizienzgewinne zu erreichen. Moderne Digitaltechnik hilft einerseits, von repetitiven und mühsamen Arbeiten zu entlasten, andererseits kann dadurch in der gleichen Zeit grösserer Output erzielt werden. Mitarbeiter sollen in digitale Veränderungsprozesse integriert werden, um deren Verständnis und Motivation zu steigern.

New Work-Tendenzen sind aufmerksam zu verfolgen und kanzleigerecht in die Arbeitsorganisation zu implementieren. Hierbei geht es nicht nur um Fragen nach Teilzeit und Home Work, sondern auch um Führung und agile Teams. Neuerungen der Arbeitswelt betreffen ebenso ein nachhaltiges und vertrauensvolles Verhältnis zu Kunden wie neue Kollaborationsweisen mit anderen Anwälten und weiteren nicht-juristischen Experten. Letzteres wird immer wichtiger.

Langfristiger Erfolg wird sich nicht ohne ein zielgerichtetes, in die Gesamtkanzleistrategie integriertes Digital Legal Marketing einstellen. Auf eine moderne mit kundenfokussierten Contents befüllte Website ist weiterhin zu achten, daneben aber auch auf Social Media, namentlich auf eine professionelle Präsenz auf der beruflichen Kommunikationsplattform von LinkedIn. Zudem ist Google als Zielgruppe zu verstehen, weil Google als Internet-Suchmaschine Marktführer darin ist, bestehende und künftige Kunden mit der Kanzlei digital zu verbinden.

Trotz spezialisierter Bau- und Immobilien-rechtsexpertise als «Boutique»-Kanzlei besteht im Geschäftsumfeld der Immobilienwirtschaft genügend Automatisierungspotential. Es geht um Abläufe, Verträge und Normen, die sich durch hohen Grad an Gleichförmigkeit und Strukturierung auszeichnen. Solche Konstellationen gilt es zu evaluieren. Bei gutem Kosten-/Nutzenverhältnis sollen geeignete Legal Tech-Anwendungen zur terminlichen, qualitativen und kostenmässigen Effizienzsteigerung eingesetzt werden. Anwendungsfelder für Legal Tech-Tools, auch etwa als Smart Contract oder unter Einsatz Künstlicher Intelligenz, gibt es namentlich im Mietrecht, im Rahmen von Bauverträgen und Immobilientransaktionen sowie in den Bereichen Smart Home und Internet of Things. Grosses Potential für Legal Tech bieten auch die Welt des digitalen Bauens und das öffentliche Baurecht in Verbindung mit Daten aus Geoinformationssystemen.

Vom Bau- und Immobilienanwalt wird erwartet, dass er neue Rechtsfragen im Zusammenhang mit Legal Tech-Anwendungen erkennen, verstehen und regulieren kann. Er soll auch verstehen, wie neue Kollaborationsplattformen in der Immobilien-wirtschaft, etwa beim digitalen Bauen mit BIM funktionieren, um bestmöglich beraten zu können.

Technologie ist kein Selbstzweck, aber bei richtigem Einsatz ein Mittel zum Ziel einer erfolgreichen, effizienten und kundenfreundlich agierenden und kommunizierenden Kanzlei. Für den Bau- und Immobilienanwalt ist entscheidend, auf digitaler Augenhöhe mit Branchenleadern und spezifischen Kundenprofilen der Immobilienwirtschaft zusammen-arbeiten und kommunizieren zu können.

Legal Tech wird den spezialisierten und gut digitalisierten Bau- und Immobilienanwalt nicht ersetzen, aber seine Arbeitsweise verändern und ihn vor lästigen, repetitiven Arbeiten entlasten.


1 Einleitung

1.1 Ausgangslage

Das Wettbewerbsumfeld verlangt von Anwaltskanzleien hohe Leistungsqualität. Aus Kundensicht soll ihr Problem gelöst und dadurch Mehrwert geschaffen werden. Excellente juristische Expertise bildet hierfür zentrale, aber nicht alleinige Grundlage. Das anwaltliche Produkt ist nutzerfreundlich, zeit- und kostengerecht abzuliefern. Die «More-for-Less-Challenge» (grundlegend Susskind, 2017, S. 4 f., und als Folge der COVID-19-Pandemie Legalweek, 2022) betrifft jegliche anwaltliche Tätigkeit. Kunden, insbesondere Rechtsabteilungen, Unternehmen, aber auch staatliche Gemeinwesen erwarten nicht nur ausgewiesene Rechtskenntnis und umfassende Beratungskompetenz, sondern auch Praxis- und Branchenwissen sowie gutes Netzwerk, unter Einschluss von Expertenwissen im nicht-juristischen Bereich und wo immer möglich Effizienzsteigerung durch Technologieeinsatz, zum mehrwertadäquaten Preis (Wolters Kluwer, 2021, S. 3, 5 f., 10).

Führende Grosskanzleien entwickeln sich zu technologieaffinen Anwaltsunternehmungen, sie investieren viel Manpower und Geld in IT und Legal Tech. Sie sind, basierend auf eigenem grossen Datenschatz, bestrebt, Möglichkeiten der Automatisierung und des Outsourcings für ein breites Dienstleistungsportfolio zu nutzen (vgl. dazu die Webinar-Serie von Mascello, 2021/22). Auf der anderen Seite entstehen hochdigitale Legal Tech Unternehmen oder Nischenkanzleien, die v.a. massenhafte (Konsumenten-)Ansprüche im Rahmen automatisierbarer, algorithmisch abbildbarer rechtsrelevanter Informationen bewirtschaften und Kunden einen effizienten, günstigen und raschen Zugang zum Recht verschaffen (überblicksweise Breidenbach & Glatz, 2021, S. 2-4 sowie Mielke & Wolff, 2021, S. 104-107). Das Erfolgskonzept ihres Geschäftsmodells ist die Skalierbarkeit, schematisch verstanden als umgekehrte Proportionalität von Aufwand und Ertrag.

Solche Businessmodelle unterscheiden sich grundlegend vom Geschäft einer (kleineren) «Boutique»-Kanzlei, die hochspezialisiert auf die Beratung, Vertretung und Prozessführung bei komplexer Sach- und Rechtslage, meist einzelfallbezogen auf eine bestimmte Branche fokussiert ist. Diese Ausrichtung als High-End-Geschäft zielt darauf, gerade nicht in Bereichen mit repetitiven Tätigkeiten zu arbeiten. Ebenso wenig dort, wo zwar komplexe, aber massenhafte Verfahren mit einer Vielzahl Betroffener zu führen sind. «Boutique»-Kanzleien verfügen weder über die finanziellen und personellen Ressourcen einer Grosskanzlei noch lässt sich ihr Geschäftsmodell in der Art eines Legal Tech Unternehmens automatisieren, was bei Erfolgsaussicht, namentlich Skalierbarkeit, die dafür benötigten Investoren anzieht. Die Ausrichtung auf das High-End-Geschäft zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nur sehr begrenzt oder gar nicht automatisieren lässt und mithin der Anwalt unersetzbar bleibt (Remmertz, 2020b, S. 295).

Kleinere «Generalisten-Kanzleien» sowie mittelgrosse Kanzleien ohne spezialisierten Fokus, dürften als Folge der fortschreitenden Digitalisierung einem immer grösseren Kostendruck von Seiten der Klienten sowie dem damit einhergehenden Veränderungsdruck, insbesondere durch neue Legal Tech-Einsatzmöglichkeiten, ausgesetzt sein (vgl. auch Martinis, 2022, S. 21; Wiesner & Fechner, 2022, S. 66, ff., 71).


1.2 Zielsetzung der Arbeit

Ausgehend von den Bedürfnissen einer auf Bau- und Immobilienrecht (privates und öffentliches Recht) spezialisierten Kanzlei soll in Eigenevaluation untersucht werden, wie Legal Tech erfolgreich im Interesse von Kunde und Kanzlei implementiert werden kann. Angestrebt werden weder Vollständigkeit noch Detailerörterungen, sondern eine überblicksweise Orientierung. Fokussiert wird auf das Potential, den Einsatz und die Auswirkungen von Legal Tech, mit kundenzentriertem Blick auf die Immobilienwirtschaft und deren Digitalisierungsentwicklungen wie etwa das digitale Bauen oder die PropTech-Szene (vgl. für die Schweiz PropTech Map Switzerland, 2022). Damit hat sich der Bau- und Immobilienanwalt ohnehin besonders auseinanderzusetzen. Handlungsempfehlungen für eine zielgerichtet digitalisierte und national tätige «Boutique»-Kanzlei sollen im Sinne einer pragmatisch-realistischen Einschätzung erfolgen.


2 Legal Tech-Einsatzgebiete

2.1 Grundlegende Vorbemerkungen

2.1.1 Legal Tech - worum es geht

Legal Tech wird vorliegend verstanden als eine Sammelbezeichnung, unter der «Software-Lösungen und Online-Dienste […] juristische Arbeitsprozesse unterstützen oder vollständig ersetzen», verbunden mit der «Hoffnung […], dass Rechtsfindung, -anwendung, -zugang und/oder -verwaltung verbessert werden» (Reinemann, 2020, S. 5). Gemeinhin wird Legal Tech zweiteilig kategorisiert, einerseits in Tools zur automatisierten Dokumentenerstellung, Kanzleimanagementsoftware sowie Marktplätze, andererseits in Anwendungen zur automatisierten Rechtsberatung und Rechtsdurchsetzung (Mielke & Wolff, 2021, S. 103). Als wesentliche Treiber von Legal Tech im Anwaltsmarkt werden gemeinhin drei grundlegende Faktoren gesehen: der Preis- und Wettbewerbsdruck («Client Pressure»), die Branchenliberalisierung und die Digitalisierung, welche neue Möglichkeiten schafft (Koelliker, 2019, S. 3 f.; Susskind, 2017, S. 4-15). Inzwischen können Faktoren wie «Hype & Publicity», die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung sowie zunehmend auch «War for Talents» hinzugezählt werden.

2.1.2 Adaption von Legal Tech

Viele Anwaltskanzleien sind – nicht nur infolge Technologieskepsis, sondern auch wegen Fehler-Aversion, Berufsgeheimnis und Datenschutz - zurückhaltend, neue Technologien einzusetzen, obwohl Kunden Technologieeinsatz zur Effizienzsteigerung und Konzentration auf die eigentliche anwaltliche Kernkompetenz erwarten (Wolters Kluwer, 2021, S. 3-5; KPMG Law, 2021, S. 21-22; Breidenbach & Glatz, 2021, S. 2 f.; Hürlimann & Steiger, 2021, S. 199). Das gilt ausgeprägt für kleinere Kanzleien bis 10 Mitarbeitern, die rund drei Viertel aller Kanzleien in der Schweiz ausmachen (Martinis, 2022, S. 20). Massgebliche Veränderungen der Anwaltstätigkeit werden voraussichtlich weniger durch neue Software, als durch anderes Datenmanagement eintreten: je strukturierter die Daten, desto effektiver kann Software werden, womit Standard- und Routinearbeit durch innovative Technik (Legal Tech) ersetzt werden und der Anwalt sich kostenoptimiert auf die bestmögliche individuelle Kundenberatung und -vertretung konzentrieren kann (Hartung, 2022, S. 6; Walter, 2022, S. 40, Geiger, 2022, S. 164). Alle repetitiven Elemente anwaltlicher Tätigkeit geben Hinweise auf denkbare Standardisierungen (Breidenbach, 2021a, S. 38).

2.1.3 Mehrwert erzielen

Erfolgreiche Anwaltstätigkeit bedingt die Schaffung von Mehrwert. Die Anforderungen jeder einzelnen Mandantschaft, deren Problem es zu lösen gilt, sind zentral (Knoll, 2022, S. 30). Unter Wert («Value») wird die monetär gemessene Leistung als Summe der (funktionalen, ökonomischen, emotionalen, sozialen etc.) Benefits verstanden, die der Kunde in dessen Wahrnehmung im Austausch für den bezahlten Preis erhält (Anderson & Narus, 1998, S. 6). Ist dieser Wert, mithin die Beratung und das Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit aus Sicht des Kunden höher als der dafür bezahlte Preis, so wird Mehrwert geschaffen. Nur ein solcher erlaubt eine Teilabschöpfung zugunsten des Anwalts, womit Profitabilität und Gewinn generiert wird. Der Preis für die Anwaltsdienstleistung allein ist nicht ausschlaggebend (in diesem Sinne Steinemann, 2022, S. 27, 36-46). Gleichwohl: Ausgehend von einem zunehmenden kundenseitigen Preisdruck werden solche Geschäftsmodelle am erfolgreichsten sein, die in der Lage sind, alternative Vergütungsmodelle anzubieten und die verschiedenen Honorierungsvarianten auf Basis von Stundenaufwand, Fixpreisen für definierte Produkte und Dienstleistungen oder als Wert-Honorar («Value Pricing») sowie als «Bezahlmodell für juristisch innovative Tätigkeiten» projektadäquat zu kombinieren (Raschewski & Schicker, 2022, S. 35; Sengpiel, 2022, S. 39 f.).

Beim Einsatz von Legal Tech ist somit zu evaluieren, ob Mehrwert geschaffen, erhöht oder zumindest gesichert werden kann, gegebenenfalls ob aussichtsreiche Geschäftspotentiale erschlossen werden können. Es geht nicht einfach darum, neuste Technologien zu nutzen, sondern insgesamt mehr für weniger bieten zu können (Susskind, 2017, S. 4 f.). Legal Tech schafft zudem ein verändertes Mehrwertverständnis. Anwaltsarbeit ist nicht zwingend immer auf den Vollausgleich von Ansprüchen zu richten, dessen Durchsetzung riskant und aufwändig sein kann. Legal Tech fördert die Durchsetzung standardisierter Ansprüche im Gegenzug zu einer vorfixierten Anteilsvergütung im Erfolgsfall, ähnlich wie bei Versicherungsentschädigungen, die auf risikobasierter Datenanalyse beruhen (Reinemann, 2020, S. 3). Nur der «richtige» Einsatz von Legal Tech kann das damit verbundene Versprechen Realität werden lassen, wonach digitale und prozessintegrierte Kanzleien den terminlichen und intellektuellen Freiraum von Anwälten vergrössern und zudem die digitale Skalierbarkeit anwaltlicher Expertise ermöglichen (Walter, 2022, S. 38). Mandanten werden zudem schnell realisieren, ob Legal Tech und Digitalkompetenz korrekt dargestellt oder aber nur vorgespiegelt werden (Glock & von Alemann, 2022, S. 107), eine zwanghafte Automatisierung um jeden Preis ist ebenfalls zu vermeiden (Geiger, 2022, S. 165).

2.1.4 Rechtslage beachten

Explizit hinzuweisen ist auf die im Zusammenhang mit Digitalisierung und Legal Tech fundamentalen Themen des Digital Risk Managements und der Data Security beim mobilen Arbeiten (dazu Hutter, 2022; Espeloer, 2022, S. 187 ff.; Seiler & Griesinger, 2022) sowie des Datenschutzes (zum schweizerischen Datenschutzrecht Danner, 2022; Ettlinger, 2021; zur EU-Datenschutz-Grundverordnung De la Cruz, 2022; vgl. auch Fanger, 2022; Rosenthal, 2022; Straub & Bhend, 2021, 407 ff.). Von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Nutzung von Cloud-Diensten ist inzwischen auszugehen (vgl. aber im Einzelnen Schwarzenegger, Thouvenin, Stiller, & George, 2019, S. 25 ff.; Rosenthal, 2021, S. 443 ff.; Hürlimann & Steiger, 2021, S. 199 ff.). Legal Tech-Anwendungen streifen oder gar überschreiten nicht selten datenschutzrechtliche Grauzonen. Deshalb ist unter Berücksichtigung von Datensicherheit und Datentransfer sowie gesetzlicher Informations- und Auskunftspflichten dem Vertragsregulativ zwischen den Beteiligten speziell Beachtung zu schenken, sobald Personendaten bearbeitet werden. Bei digitalen Innovationsprojekten sind wegen des anwaltlichen Berufsgeheimnisses auch das Anwaltsrecht und das Strafrecht besonders zu beachten. Je nach Legal Tech-Anwendung sind weitere Rechtsgebiete zu berücksichtigen wie das Immaterialgüterrecht, namentlich das Urheberrecht, Vertrags- und Haftungsrecht.

2.2 Digitalisierung des anwaltlichen Ökosystems

2.2.1 Digitalisierung des Anwaltsberufes

2.2.1.1 Die digitale Kanzlei

Der Schweizerische Anwaltsverband empfiehlt auf dem Weg zu einer modernen, digitalisierten Kanzlei vor teuren Beschaffungen zunächst eine Auslegeordnung und Strategieentwicklung, um Arbeitsabläufe tatsächlich verbessern, d.h. effizienter und angenehmer gestalten sowie Kompatibilität unter den verwendeten Systemen sicherstellen zu können. Mit leistungsfähiger Hardware und Software soll ein papierloser, ortsunabhängiger Akten- und Informationszugriff sowie Wissensaustausch und die Automatisierung von Routineaufgaben ermöglicht werden. Organisation und Abläufe, insbesondere Stammdatenbewirtschaftung mit einer zentralen Datenbank sowie Arbeitsprozesse der Aktenführung und des elektronischen Rechtsverkehrs sollen mittels Dokumentenmanagementsoftware umfassend strukturiert und verbunden werden, unter Vermeidung von «Insellösungen». Weitere entscheidende Aspekte sind die zielgerichtete Präsentation im Internet und die Nutzung von Cloud-Diensten, unter Beachtung von IT-Security und Datenschutz (SAV FSA Schweizerischer Anwaltsverband, 2022). In ähnlicher Weise gehen ausgewiesene Legal Tech-Experten davon aus, eine zeitgemäss digitalisierte Kanzlei habe sich auf Kanzleimanagement und Online-Marketing sowie Standardisierung und Automatisierung, je nach Kanzleibedürfnis auch Datenextraktion und Datenanalyse sowie eDiscovery, zu fokussieren (Gansel & Caba, 2021, S. 12; Wiesner & Fechner, 2022, S. 69; Geiger, 2022, 165).

2.2.1.2 Zielsetzungen einer digitalen Kanzlei

Digitalisierung soll eine Kanzlei autonomer, besser informiert, online zielgerichtet sichtbar und insgesamt produktiver machen. Solche Zielsetzungen erreichen per se weder Software und Hardware noch ausgeklügelte Tools, sondern Menschen, die moderne Technik zur Effizienzsteigerung einzusetzen vermögen. Zentral sind Fähigkeit und Bereitschaft der gesamten Belegschaft, neue Technologien anzunehmen sowie die Vermittlung der Erkenntnis, dadurch Arbeit zu erleichtern und interessanter gestalten zu können. Basis dessen bilden Mindset, Innovationskultur, Ressourcen, Kompetenzen und Kommunikation (Sengpiel, 2022, S. 43 ff., 49 f.; Knoll, 2022, S. 19 ff.; Kleinmann, 2022, S. 55 ff.; Wiesner & Fechner, 2022, S. 73 f.).

Investitionen in das eigene Personal sind somit zentral, insbesondere eine organisierte oder selbstmotivierte Schulung aller anwaltlichen und assistierenden Kanzleimitarbeiter (Sengpiel, 2022, S. 47 f.; zum digitalen Lernen Mayr, 2022, S. 172 ff.). Technologische Weiterbildung soll nicht auf Anlässe neu erworbener Legal Tech-Tools begrenzt sein. Anzustreben ist zuerst die Know-how-Verbesserung bei bereits integrierten Systemen mit den vielen Möglichkeiten, welche Standardsoftware in Textverarbeitung, Kommunikation und Datenverwaltung bereits bieten und mit jedem Update neu erschliessen (zum Zusammenhang zwischen Kenntnisstand sowie Schulung in Standardsoftware und Leistungseffizienz Flaherty, 2013; Flaherty 2016).

2.2.1.3 Digitalkompetenzen erlernen

Eine ausgezeichnete Lernplattform ist Procertas (kostenpflichtig, einstweilen nur in Englisch) mit Erklärtools zu Microsoft Word, Excel, PowerPoint, Outlook und PDF, wobei zwischen einem Basislernmodul «BOTA» (Basic Office Technology Assessment) und einem spezifischen für Legal Tech «LTA» (Legal Technology Assessment) ausgewählt werden kann (Procertas, 2022). Da persönliche Daten (Name, Vorname, E-Mail-Adresse) in den USA gespeichert werden, kann eine solche Schulung wegen der Datenschutzgesetzgebung nur auf Freiwilligkeit basieren.

2.2.2 Massgeschneiderte digitale Kanzlei

2.2.2.1 Digitalisierungsstrategie

Wie bereits erwähnt, startet ein digitales Transformationsprojekt mit einer Digitalisierungsstrategie, die, um nachhaltig zu sein, Teil der Gesamtstrategie sein muss. Sie soll regelmässig reflektiert und überprüft werden, und die Umsetzung erfordert eine kohärente Kommunikation der Ziele (Wiesner & Fechner, 2022, S. 71 f.; zu einzelnen Aspekten der strategischen Ebene Knoll, 2022, S. 21 ff.; Geiger, 2022, S. 150 ff.). Digitalisierungsthemen gibt es fast unbeschränkt (vgl. dazu überblicksweise Tobschall & Kempe, 2021, S. 27 ff.; Gansel & Caba, 2021, S. 12 ff.; Reinemann, 2020, S. 6 ff.; Wagner, 2020, S. 19 ff.). Nachfolgend sei das Augenmerk auf eine kleine Auswahl gerichtet. Digitalisierungsprojekte sind im Allgemeinen aufwändig und teuer, der Investitionsbedarf ist beachtlich und auch nach einer Implementierung ist mit höheren Kosten zu rechnen (Wiesner & Fechner, 2022, S. 75; für einen Erfahrungsbericht einer mittelgrossen schweizerischen Anwaltskanzlei zur kompletten IT-Umstellung Frei & Kessler, 2021, S. 263 ff.).

2.2.2.2 Dokumentenautomation

Dokumente sind Teil des anwaltlichen Tagesgeschäfts, weshalb jede Digitalisierung bei der Dokumentenerstellung grosses Effizienzpotential birgt. Die «Kunst» liegt darin, Automation zielführend zu evaluieren und sinnvoll zu implementieren. Im Fokus stehen häufig verwendete sowie Standard-Dokumente wie wiederkehrende Vertragstypen, Vollmachten, Mandatsverträge. Geeignete Dokumentensoftware ermöglicht dem Nutzer, über die Beantwortung einer Frage-Antwort-Struktur das gewünschte Dokument rasch zu erstellen. Solche Software arbeitet meistens auf Basis von Bausteinen (Klauseln und Textblöcke), die logisch, namentlich über eine «Wenn-Dann-Struktur», miteinander verknüpft werden (Reinemann, 2020, S. 12). Dazu gehören sog. Vertragsgeneratoren, mit welchen formularbasiert Rechtsdokumente, etwa Vertragsvorlagen in weniger komplexen Fällen, generiert werden können (Remmertz, 2020a, S. 116; Wend & Gebhardt, 2021, S.159 unter Verweis auf massenhafte Mietverträge; für einen KMU-Anwendungsfall Schmargendorf, Schuller, Dengler, Mielke, & Wolff, 2019). Prozesse, die (teil)automatisiert sind, versprechen hohen Effizienzgewinn sowie ein verbessertes Service-Level (Stasch, 2022, S. 12). Besondere Herausforderungen bei der Dokumentenerstellung mittels Künstlicher Intelligenz (dazu unten Ziff. 2.3.1) stellen vielfältige Sprachvarianzen in Texten sowie das Erfordernis an genügenden, qualitativen, datenbasierten Trainings am System (Landhäußer & Feller, 2022, S. 17, 19). Im Erfolgsfall verschiebt sich das Schwergewicht weg von der Mustersammlung zum Klausel-Management in zentraler Datenumgebung (Wend & Gebhardt, 2021, S. 161 f).

Die Auswahl geeigneter Anbieter ist schwierig. Zumindest der initiale Aufwand für das Kanzleipersonal zur Implementierung von Dokumentensoftware kann sehr gross werden. Der Beizug von externen Experten dürfte unumgänglich sein. Gelingt das Vorhaben, so wird dies einen spürbaren Wettbewerbsvorteil nach sich ziehen, auch für Bau- und Immobilienanwälte, zumal Standard-Bauverträge und Standard-Immobilientransaktionen durchaus einer Automatisierung zugänglich sind (Wiesner & Fechner, 2022, S. 74). Gleiches gilt für Bereiche des Mietrechts und der Planerverträge (dazu unten Ziff. 3). Einer «Boutique»-Kanzlei ist zu empfehlen, den Markt zu beobachten und angebotene Tools auf Geeignetheit für das eigene Business, deren Umsetzbarkeit (im auch sprachlich fragmentierten kleinen schweizerischen Markt) sowie auf das Mehrwertpotential für Kunden, und auf ein tragbares Kosten-/Nutzen-Verhältnis zu evaluieren.

2.2.2.3 Analyse von Dokumenten und Rechtsdatenbanken sowie eDiscovery

Analyse-Systeme versprechen erheblichen Effizienzgewinn, sofern Arbeitsprozesse damit tatsächlich vereinfacht und beschleunigt werden können. Sie sind darauf konzipiert, rasch erhebliche Datenmengen zu durchforsten. Technisch wird hier Künstliche Intelligenz (dazu unten Ziff. 2.3.1), namentlich Machine Learning (ML) und Natural Language Processing (NLP), eingesetzt (Reinemann, 2020, S. 11). Anwendungsfelder sind das Durchsuchen und Auffinden von Fundstellen, beispielsweise Urteilserwägungen in Rechtsdatenbanken, oder die gezielte Informationsextraktion aus Unterlagen und Daten aller Art (eDiscovery), etwa im Hinblick auf einen Gerichtsprozess. Die Vertrags- und Dokumentenanalyse ist besonders erfolgsversprechend, weil nicht nur stichwortbezogen, sondern auch nach relevanten Inhalten gesucht werden kann, und Algorithmen mitunter in der Lage sind, einschlägige Vertragsklauseln zu erkennen (Reinemann, 2020, S. 11 f.; weitergehend Miskolczi & Thingna, 2022, S. 121 ff.). Eine der Schwachstellen solcher Systeme Künstlicher Intelligenz liegt allerdings im Erfordernis des erfahrungsgemäss zeitaufwändigen Trainings für qualitativ hochwertige Outputs (vgl. Hoffmeyer, 2022).

2.2.2.4 Dokumentenmanagement & Kanzleisoftware

Legal Tech-Experten bezeichnen das «prozessgetriebene Customizing von Standardsoftware [als] Königsweg» bei der Rechtsmarktdigitalisierung (Walter, 2022, S. 39), beispielsweise die Fortentwicklung einer Microsoft Cloud Lösung, etwa die Webanwendung SharePoint als zentrale Daten- und Zusammenarbeitsplattform (SharePoint, 2022), als Grundlage der ganzen IT-Kanzleistruktur. Mittels spezifischer Anpassungen an der Standardsoftware sollen Kanzleiverwaltung inkl. Suchfunktionen und Mandatskommunikation sowie Automatisierungsprozesse bei der Erstellung von Dokumenten bestmöglich und flexibel strukturiert in nur einer Datenquelle abzubilden sein. Dies, zumal sich Microsoft-basierte Lösungen auch Mandatsstruktur-adäquat und entlang deren Wertschöpfungskette in digitale Infrastrukturen Dritter und damit vernetzt einfügen lassen. Die Kanzlei profitiert zudem an der permanenten anbieterseitigen Weiterentwicklung und Integration der Systeme (Walter, 2022, S. 39; Schmid, 2022, S. 30-36; zu konkreten Empfehlungen für einen optimalen Digital Workplace Espeloer, 2022, S. 201 ff.).

Inwieweit dies für die eigene Kanzlei empfehlenswert ist, hängt von einer Einzelfallbetrachtung ab, denn eine solche Implementierung erfordert zumindest eine gewisse technische Affinität der Belegschaft sowie die Bereitschaft zur grundsätzlich radikalen Überprüfung und Anpassung der eigenen Prozesse, verbunden mit einem initial grösseren Zeit- und Kosten-Aufwand inklusive Schulungsbedarf. Weiter sind allfällige rechtliche Herausforderungen, die sich aus Anwaltsgeheimnis und Datenschutzrecht ergeben können, zu adressieren.

Klassische «reine» Kanzleisoftwareanbieter (vgl. dazu Swiss LegalTech Association (SLTA), 2021) haben die Vorteile eines datenbankgestützten und cloudbasierten Kanzleimanagements wie Effizienzsteigerung bei der Zusammenarbeit oder Reduktion von Allgemeinkosten erkannt. Sie versuchen durch Innovation (ebenfalls) Legal Tech-tauglich zu sein und dadurch bestehende Kunden halten und neue dazugewinnen zu können. Ein Beispiel dafür wäre die Anwaltssoftware WinJur, die bei kleineren und mittleren Kanzleien häufig verwendet wird (WinJur, 2022), für welche im April 2022 via Kunden-Newsletter eine neue «WinJur an DMS»-Version angekündigt wurde. Damit soll ohne grundlegenden Anpassungsbedarf an der bestehenden IT-Struktur eine gleichzeitige Bearbeitung an Office-Dokumenten (Co-Authoring), etwa an einem Vertrag in Microsoft Word, in echter Teamarbeit samt Versioning erschlossen werden mit der Möglichkeit, externe Stakeholder wie Mandanten oder Gutachter einzubeziehen, künftig auch browserbasiert mobil per Smartphone oder Tablet. Man darf gespannt sein, ob bzw. welche Kanzleisoftwareprodukte (Branchensoftware) im Anwaltsmarkt Bestand haben werden.

2.2.2.5 Exkurs: Legal Chatbots - Code/No-Code

Legal Chatbots sind Programme, die menschliches Verhalten abbildend mit Nutzern innerhalb einer Chat-Umgebung automatisiert (schriftlich oder mündlich) kommunizieren. Interessant kann der Einsatz von Legal Chatbots als automatisiertes Dialogsystem, etwa mittels einer No-Code-Software (dazu Braun, 2022, S. 24 f.), sein, das Nutzern einfache, aber nützliche Rechtsprobleme «per Knopfdruck» lösen lässt und zudem Vorteile auch für die Kanzlei durch Kundenanbindung oder Umsatzsteigerung verschaffen kann (Frenzer, 2020; S. 8 ff.; Krähenbühl, 2021, S. 6 f.; Schöb, 2020, S. 3 ff.; Reinemann, 2020, S. 10). Sinnvolle und erfolgsversprechende Einsatzgebiete für kleinere Kanzleien können etwa die Kundenkommunikation (Service Desk) oder die Kundenacquisition, beispielsweise mithilfe von Tools zur Lösung einfacherer, wiederkehrender Rechtsthemen, sein.

Das Anbieten von Self-Service-Tools gehört zunehmend zum modernen Verständnis von Kundenanforderungen an Anwaltskanzleien (Wiesner & Fechner, 2022, S. 69). Es ist aber wohl (weiterhin) davon auszugehen, dass Anwälte nicht in der Lage sein müssen, selbst zu programmieren. Sie sollen aber Fachbegriffe erlernen und einordnen können sowie über ein Grundlagenverständnis für technologische Zusammenhänge und zum Programmieren verfügen. Anwälte sollen fähig sein zu verstehen, wann und wo der Einsatz von Technologie sinnvoll ist, samt deren Grenzen, und sie sollen die Auswirkungen von Digitalisierung und Technik auf Rechtsfragen beurteilen können (Mayr, 2022, S. 183; vgl. auch Miskolczi & Thingna, 2022, S. 118 ff.).

2.2.3 New Work-Tendenzen

Spätestens seit der Corona-Krise und dem damit einhergegangenen Digitalisierungsschub haben sich Gewohnheiten und Erwartungen bei Arbeit und Zusammenarbeit verändert. Dies tangiert verschiedene Konstellationen der anwaltlichen Leistungserbringung.

2.2.3.1 Der Blick auf die Mitarbeiter: Agilität im Team und in der Führung

Home-Office, Teilzeitarbeit und das seit der COVID-19-Pandemie massiv gewachsene Bedürfnis nach ortsunabhängigem Arbeiten sind zentrale Themata geworden, auch bereits für die Frage der Rekrutierung (vgl. Reiter, 2022, S. 4 ff. zum neuen Typus «Digital Nomad» bzw. «Legal Nomad»). Anwaltskanzleien als Beratungsdienstleister haben vielfältige Möglichkeiten der Flexibilisierung für individuell-optimierte Arbeitsmodelle. Allerdings lässt sich noch kaum eine Empfehlung abgeben, wie sich «Boutique»-Kanzleien im Sinne einer «Best Practice» zu organisieren haben, zumal belastbare Erfahrungen zu einem optimalen Gleichgewicht zwischen physischer und digitaler Präsenz für alle Beteiligten (Führungskräfte, Mitarbeiter, Mandantschaften, externe Kooperationspartner) fehlen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Materie würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen. Sicher erscheint, dass neue ausgeklügelte Kommunikationstools viele Chancen, aber auch einige Gefahren für künftige Zusammenarbeitsformen bergen.

Gute Führungskultur in Anwaltskanzleien basiert nicht auf Hierarchien, sondern auf wechselseitigem Vertrauen. Das hat zentral mit Information, Aufklärung, Delegation und eigener Vorbildfunktion, ebenso Empathie und Feedbackkultur zu tun, womit auch das Potential der Mitarbeiter, etwa Eigenverantwortung und Innovationskraft, ausgeschöpft werden kann. Führungskräfte sollen Fragen stellen und zuhören, ihre Rolle ähnelt derjenigen eines Sparringpartners, der zudem zum individuellen Lernen und zur persönlichen Weiterentwicklung animiert (Sengpiel, 2022, S. 45 f.).

Weiter soll das Augenmerk auf einen guten digitalen Arbeitsplatz gerichtet werden. Belegt ist, dass zwei Monitore mit einer Grösse von mindestens 24″ - 27″ (Zoll) die Produktivität erhöhen. Eine digitale Überflutung soll vermieden werden, denn sofortiges überall erreichbar sein, führt nur zu einem ständigen Hin- und Her zwischen verschiedenen Medien und Applikationen (Telefonate, Videocalls. E-Mails, Teams-Chats, iMessage, Mattermost oder Apps wie Slack, Trello, etc.), womit letztlich Frustration droht sowie ein Ausbleiben der Realisierung des Potentials der digitalen Kollaborations-Anwendungen (Espeloer, 2022, S. 200 ff. mit weiteren Empfehlungen zum Digital Workplace). Zudem ist die Zulässigkeit bzw. der Einsatzbereich solcher Tools unter dem Aspekt von Datenschutz und Anwaltsrecht (Berufsgeheimnis) zu prüfen.

2.2.3.2 Der Bezug zum Kunden: Vertrauen und Nachhaltigkeit als Kompass

Die Corona-Pandemie hat auch zwischen Anwaltschaft und Mandanten einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Videokonferenzen, etwa Microsoft-Teams-Sitzungen, sind praktisch über Nacht zum Tagesgeschäft, physische Sitzungen deutlich seltener geworden (Remmertz, 2020b, S. 306). Es wird sich weisen, ob und inwieweit diese Entwicklung massgeblich voranschreitet. Vermutlich werden persönliche Treffen (weiterhin) dort bevorzugt, wo der direkte menschliche Austausch unabdingbar ist oder einem Grundbedürfnis entspricht, etwa im Rahmen der Mandatsakquise, bei der sozialen Interaktion der Vertrauensbildung und wo Digitalmeetings, wie meistens bei komplexeren Vergleichsverhandlungen, wenig geeignet erscheinen.

Ohnehin ist und bleibt das Vertrauen die Grundbasis im Verhältnis Mandant zu Anwalt. Diese gilt es auszubauen und zu nutzen (Sengpiel, 2022, S. 49). Einzigartiger Mehrwert für Kunden wird am besten in der Rolle eines «Trusted Advisors» erreicht (ausführlich dazu Weyand, 2020, S. 72 ff.). Über den Status eines reaktiv agierenden Rechtsberatungsdienstleisters hinaus sind den Mandanten proaktiv und zukunftsgerichtet neue Wege für die Verwirklichung ihrer Ziele aufzuzeigen (Mascello, 2016, S. 15 f.). Hierfür ist eine professionelle Beziehung aufzubauen unter gemeinsamer Ausarbeitung geschäftlicher Ziele in umfassendem Austausch aller relevanten Aspekte wie Strategie und Branchentrends für eine beidseits gewinnbringende langfristige Beziehung (Sengpiel, 2022, S. 49). So erhalten Mandanten bedarfsgerecht einen auf Augenhöhe begegnenden Sparringpartner mit ganzheitlicher Expertise, der die Bedürfnisse und das Business kennt und zum qualitätsvollen Austausch in aktuellen und künftigen Fragen befähigt ist (Weyand, 2020, S. 9). Aus Kanzleisicht ergeben sich daraus eine geringere Austauschbarkeit und weniger Preisdruck, weil diese Befähigungen, die persönliche Beziehung und deren Langfristigkeit die Vergleichbarkeit mit Konkurrenten erschwert (Weyand, 2020, S. 11; Sengpiel, 2022, S. 49).

2.2.3.3 Perspektiven als Anwaltskanzlei: neue Kollaborationsmodelle

Die konsequente Digitalisierung der anwaltlichen Kanzleiinfrastruktur ermöglicht eine medienbruchfreie, hochqualitative Zusammenarbeit mit anderen Kanzleien sowie nichtanwaltlichen Experten. Damit wird die eigene Expertise erhöht und die Bearbeitung umfangreicher komplexer Mandate erleichtert (Walter, 2022, S. 40). Effizienzsteigerung bewirkt auch die Übertragung von Anwaltsarbeit, welche nicht zwingend durch Anwälte zu bearbeiten ist, auf andere Personen mit der dafür erforderlichen Expertise (Geiger, 2022, S. 166). Die Anwaltsarbeit wird zunehmend in interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen (Mayr, 2022, S. 171). Erwartet wird auch Know-how in nicht-juristischen Bereichen. Dazu gehören Interesse und grundlegende Kenntnis im Branchenumfeld sowie die Kompetenz zur Verknüpfung interdisziplinären Wissens, um dem Bedarf nach einer ganzheitlichen Beratung nachzukommen. Die Zusammenarbeit mit nichtanwaltlichen - externen oder intern integrierten - Spezialisten wie IT-Experten, Baufachleuten, Naturwissenschaftlern hat dabei auf Augenhöhe in Teamarbeit zu erfolgen, unter Berücksichtigung und Kalkulation der jeweiligen Wertanteile am Dienstleistungsergebnis (Sengpiel, 2022, S. 40 f., 46 f.).

Zur Palette digitaler Optionen gehört das Legal Process Outsourcing, mit welchem ein Teil des juristischen Arbeitsprozesses an ein Legal Tech- oder ein anderes spezialisiertes Rechtsberatungs-Unternehmen ausgegliedert wird, etwa eine Gutachtenserstellung, die Überprüfung von Dokumenten oder die Mitarbeit an einer Rechtsschrift (Quarch, 2022, S. 1141 f.). Potential haben auch Kooperationen von Kanzleien mit Legal Tech-Unternehmen im Rahmen einer Immobilien-Due Diligence, als SaaS- oder PaaS-Geschäftsmodelle mit cloudbasierter Infrastruktur. Dadurch kann die eigene Wertschöpfungskette ausgebaut werden (Gloor, 2020, S. 4 f., 7).

2.2.4 Digital Legal Marketing

Technische Digitalisierungsoptionen und das Jahrhundertereignis COVID-19 mit den Lockdowns und breiter Umstellung der Arbeitswelt auf Home Office haben das Kanzleimarketing fundamental verändert. Bestehende und neue Kunden sind ortsunabhängig nur noch einen «Klick» entfernt, Online-Beiträge werden «ewig» im Internet gespeichert. Kanzleien, die auch künftig im Rechtsmarkt relevant sein wollen, werden strategisch eine Online-Präsenz aufbauen und pflegen. Der Auftritt im Internet darf kanzleiadäquat durchaus mutig und kreativ, ohne hemmende Risikoaversion und mit gesunder Fehlerkultur sein sowie auf Entwicklungen im eigenen Rechtsmarkt und Businessumfeld reagieren (Lederer, 2022, S. 36-37; Sengpiel, 2022, S. 41 ff., der diese Attribute generell, auch für das Kerngeschäft der Beantwortung von Rechtsfragen, propagiert).

2.2.4.1 Zentrale Marketingkanäle

Eine moderne Website ist Aushängeschild sowie marketingmässiger Dreh- und Angelpunkt jeder Kanzlei (Löffler, 2022, S. 16). Dazu kommen traditionelle Marketing-Instrumente wie physisch oder mit Mehrfachverwertungspotential (dazu Kleinmann, 2022, S. 60) digital platzierte Fachartikel, Newsletter, Blogbeiträge und Referate, aber auch die Organisation von Target Group Meetings und die Teilnahme an Konferenzen sowie ein konsequentes Brand-Management, das alles (Website, Corporate Design, E-Mails und weitere Kommunikation) umfasst. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl zunehmend wichtiger digitaler Marketing-Massnahmen.

Erfolgsversprechend, gerade für kleinere Kanzleien, ist ein professionelles Personal Branding auf Social Media. Speziell im Fokus steht das stark wachsende webbasierte soziale Netzwerk der beruflichen Kommunikation von LinkedIn, das als Dialogplattform enorme Sichtbarkeit sowie ein kostengünstiges effektives Marketing verspricht (vgl. LinkedIn, 2022). Social Media funktioniert nach dem Grundsatz «unterhalten und informieren», erfordert Arbeit, ist aber günstig und inzwischen unabdingbar (Löffler, 2022, S. 17). Je nach spezifischem Kanzleibedürfnis können Online-Auftritte mit Audio- und Videobeiträgen, z.B. einprägsame Erklärvideos zu wichtigen Branchen- und Rechtsthemen, via Podcast (per Stream abrufbare Audio-Datei), Webinar (moderierte audiovisuelle Online-Präsentation) oder Youtube nützlich sein. Es besteht grosses Skalierungspotential und im Falle zahlreicher Klicks ein hohes Suchmaschinen-Ranking (Lederer, 2022, S. 36-37).

2.2.4.2 Google als Zielgruppe

Unternehmen erlangen online Sichtbarkeit und akquirieren potenzielle Kunden vor allem durch Google. Deshalb ist Google als Zielgruppe jeder Kanzlei zu verstehen, und es lohnt sich, das eigene digitale Marketing durch SEO (Suchmaschinenoptimierung) zu verbessern (Steinemann, 2022, S. 95 ff.). Ob man im Rahmen von SEO-Marketing zwecks höherer Gewichtung auf Suchmaschinen bis auf die erste Seite kostenpflichtige Anzeigen durch Google Ads schalten will, ist auch eine Frage von Stil und Eigenverständnis der Kanzlei (zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen SEO mittels Metatags sowie Einsatzes von Keyword Advertising Fellmann, 2022, S. 89 ff.; zur Verfügungshoheit über das Google Ads-Konto Scherrer, 2022, S. 123 ff.).

2.2.4.3 Handwerk und Strategie beim Internet-Marketing

Digital Legal Marketing ermöglicht exponentiellen Output ohne zeitliche und geographische Grenzen. Angesichts der globalen Verbreitung ist mit Bedacht vorzugehen, weshalb Effekthascherei ohne realen Content zu unterlassen und auch schädlich ist. Kanzleibeiträge sollen relevant und nutzerfreundlich sein, was eine gewisse Prägnanz und Kürze bedingt. Alle eingerichteten Accounts in digitalen Netzwerken sind regelmässig mit Beiträgen zu befüllen und zu aktualisieren (Lederer, 2022, S. 37). Es gilt den Grundsatz «weniger ist mehr, dafür richtig» zu gewärtigen.

Die Kanzleistrategie soll darlegen, welche Ziele über welche Kommunikationskanäle erreicht werden sollen und können. Im Zusammenhang mit Prozessen des Digitalen Bauens und der Digitalisierung der Immobilienwirtschaft gibt es bereits eine Vielzahl an Plattformen und Anbietern, was zu immer neuen, aber unproduktiven «Insellösungen» beiträgt. Im Lichte dessen sollte nachfolgendes, in der Immobilienwirtschaft mitunter hörbare Zitat beim eigenen digitalen Kanzleimarketing vor Augen gehalten werden: «Es gibt nicht für jede Lösung ein Problem».

2.3 Legal Tech im anwaltlich-juristischen Kernbereich

2.3.1 Künstliche Intelligenz (KI) - Grundlegendes aus Anwaltssicht

Rechtsfindung «ex machina» ist seit jeher - je nach Betrachtung - Traum oder Albtraum (Martinis, 2020, S. 42 f.). Die Kernfrage ist, inwieweit menschliche Intelligenzleistung durch Maschinen erbracht oder gar verbessert werden kann.

2.3.1.1 Stand der Technik

Bei Künstlicher Intelligenz (KI) geht es nicht um Subsumtionsautomaten, die mit vordefinierten Regeln, regelbasierter Software, urteilen (Meder, 2022, S. 1130 f.). Primär verwendet KI grosse Datenmengen, Gesetze sind nur eine Quelle unter vielen. KI-Systeme können Wertungen insoweit berücksichtigen, als solche in früheren Urteilen enthalten sind und Muster oder Gruppen von Mustern bilden. Algorithmen können zwar unglaublich rasch und fast unbegrenzt Muster erkennen und Entscheide fällen, nicht aber konkrete Einzelumstände berücksichtigen, die eine Musterabweichung rechtfertigen oder eine andere Lösung erfordern. Insoweit sind sie «sozusagen auf einem Auge blind» (Meder, 2022, S. 1131). «Legal Robots» als durch KI selbstlernende Systeme können menschliche Entscheide nur beschränkt simulieren. Sie ziehen mittels Algorithmen aus grossen Datenmengen (etwa Entscheidungen) selbst Schlüsse über die relevanten Kriterien und entwickeln daraus weitere Algorithmen, die für künftige Fälle quasi autonom «Recht» sprechen. Ein solcher zweiter Algorithmus entspricht dann nicht mehr dem von Menschen erlassenen Recht, sondern denjenigen Regeln, welche aus der Rechtsanwendung abgeleitet wurden. Die Entscheidungskriterien werden damit für den Menschen intransparent, und der Ausgang eines Rechtsstreits wird nicht mehr nachvollziehbar (Schroeder, 2022, S. 1105, 1107). Ob Künstliche Intelligenz jemals menschlich erklärbar und interpretierbar wird (predictable/explainable artificial intelligence) und damit Entscheide in komplexeren Angelegenheiten durch Legal Robots tatsächlich nachvollziehbar werden, ist letztlich ungeklärt (Wagner, 2020, S. 97; Waltl & Vogl, 2018, Ziff. 2, 3), ebenso, wie weit und tiefreichend die Erklärbarkeit von KI-Algorithmen gehen soll bzw. muss (ausführlich dazu van den Hoven van Genderen, 2021, S. 122 f., 129).

2.3.1.2 Grenzen von KI-Systemen

Zentrale Probleme für den Bau von KI-Entscheidungssystemen sind die Einzelfallbezogenheit, die hohe Kontextsensibilität sowie Wertungsbedürfnisse, namentlich bei unbestimmten Rechtsbegriffen, die im Rahmen einer konkreten Entscheidfindung berücksichtigt werden müssten. Weiter mangelt es nach dem hiesigen Rechtsverständnis bei maschinellen Entscheidungen an der erforderlichen Legitimation. Dazu kommt die «Bias-Gefahr», dass eine fehlerhafte und diskriminierende Praxis infolge rein empirischer Auswertung wegen unausgesprochener Vorurteile perpetuiert wird und die Rechtspraxis statisch verbleibt, indem nicht auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen adäquat reagiert wird (Schroeder, 2022, S. 1105-1107). Somit fehlt es bei KI-Systemen mit Blick auf die im Recht zentrale «situative Offenheit […] an Anschauung, Intuition, Takt, Urteilskraft und all den Ingredienzen, welche die Jurisprudenz auch in Zukunft von einer Rechtsmaschine unterscheiden werden» (Meder, 2022. S. 1131).

Dieser Schluss deckt sich mit der These, dass «Starke Künstliche Intelligenz», wonach es «keinen kategorialen Unterschied zwischen Menschen und Softwaremaschinen gibt», nicht existiert, denn im Gegensatz zu menschlicher Intelligenz mit ihrer Fähigkeit, neue Herausforderungen variabel zu erfassen und mit Phantasie und Logik zu bewältigen, scheitern auch höchstentwickelte Softwaresysteme, die zwar spezifische Aufgaben extrem leistungsfähig lösen und insoweit Menschen überlegen sein können, sobald die Übungsanlage variiert; «Softwaresysteme […] verfügen nicht über ein Analogon zu menschlicher Intelligenz» (Nida-Rümelin, 2022a, S. 36-38). Umstritten ist, ob es nur schon «Schwache Künstliche Intelligenz» gibt. Demgemäss wäre jede (einzelne) menschliche Fähigkeit bzw. menschliches intelligentes Verhalten prinzipiell durch Software simulierbar und etwa durch den Turing Test überprüfbar, wonach das Output-Verhalten eines algorithmischen Systems verwechselbar dem Menschen ähnelt. Dagegen spricht, dass es um Funktionalitäten geht, «nicht um den ontologischen Status» und mithin «die menschliche Begründungspraxis in toto nicht algorithmisierbar ist» (Nida-Rümelin, 2022a, S. 34, 39; Nida-Rümelin, 2022b, S. 78).

2.3.2 Zwischenfazit für “Boutique”-Kanzleien

2.3.2.1 Kein Ersatz hochqualifizierter anwaltlicher Expertise durch Künstliche Intelligenz

Die Beurteilungsexpertise eines spezialisierten Bau- und Immobilienanwalts im High-End-Geschäft ist - auf sehr lange Sicht - nicht durch Software ersetzbar. Anders verhält es sich mit Teilaspekten, die nur einzelne Funktionalitäten betreffen und durch Mustererkennung und massenhafter Datenanalyse automatisierbar sind. Hier können KI-Systeme Empfehlungen sowie - in von Menschen vorgegebenen Grenzen - Learnings und Entscheide liefern, mit denen, durch Vermeidung menschlicher Fehler wie Subjektivität oder Übersehen wesentlicher Informationen, menschliche Fehleinschätzungen und damit Risiken reduziert werden (Nida-Rümelin, 2022b, S. 86). Herauszuschälen ist mithin, wie die «Maschine» den Menschen, i.c. einen Bau- und Immobilienanwalt, gewinnbringend unterstützen und entlasten kann.

2.3.2.2 Wissensmanagement im Besonderen

Mit gut strukturierten, digital und mobil verfügbaren Know-how-Datenbanken, gegebenenfalls auf Basis teilautomatisierter Vertragstemplates, werden «Boutique»-Kanzleien bis auf weiteres ein realistisches Optimum der technologischen Effizienzoptimierung beim Wissensmanagement erreichen. Dazu kommt: das wirklich herausragende Wissen zu komplexen, nur schwer zugänglichen Themen und Zusammenhängen ist noch lange in den Köpfen der besten Experten vorhanden und dort zu erschliessen. In kleineren, spezialisierten «Boutique»-Kanzleien helfen die «kurzen Wege». Bei Grosskanzleien und internationalen Grossunternehmen ist es bisweilen herausfordernd, gezielt und zeitgerecht diejenige Person zu finden, welche die Lösung eines spezifischen Problems kennt oder zumindest dazu die grössten Erfahrungen hat. Das Zürcher Software-Unternehmen Starmind etwa versucht unter Einsatz Künstlicher Intelligenz, Auskunftssuchende firmenintern in Sekundenschnelle dem besten Know-how-Träger zuzuführen und liefert mitunter auch automatisch generierte Ergebnisse. Auf Basis einer Fragenmatrix und Verschlagwortung werden unter Abgreifen und Strukturierung der gesamten elektronischen Unternehmenskommunikation passende Frage-Tags auf Grundlage von Schlüsselwörtern hinzugefügt, um automatisch eine entsprechende Nachricht an den oder die besten Experten mit dem relevantesten Wissen zuzustellen, wobei die Anonymität des Fragestellers gewahrt wird (Starmind, 2022). Dadurch soll die unternehmensinterne Zusammenarbeit auf ein neues Level gehoben werden. Für die Anwaltsbranche, vornehmlich in Nordamerika, verfolgt das Unternehmen OpenText mit ihrem Tool «opentext Decisiv» u.a. einen analogen Ansatz (OpenText, 2022). Für kleinere und mittlere Kanzleien würden solche Tools dann interessant und wohl unabdinglich, sobald sie firmenübergreifend und sogar weltweit in der Lage sind, erforderliches Spezialwissen und geeignete Experten über das Internet «auf Knopfdruck» zugänglich zu machen, also «On-Demand».

2.3.3 Typische Anwendungsbereiche für Legal Tech-Tools

Die Zielsetzung von Legal Tech liegt in der Verbesserung des Rechtssystems und der Rechtsdienstleistungen durch Automatisierung juristischer Tätigkeiten.

2.3.3.1 Treiber: Standardisierung und Systematisierung

Grundlegende Voraussetzung für den Einsatz von Legal Tech-Tools auf dem Weg zu einer solchen Automatisierung ist ein hoher Grad an Standardisierung durch gleichartige Fallstrukturen, welche konsequente digitalisierte Arbeitsprozesse ermöglichen (Geiger, 2022, S. 165; Wiesner & Fechner, 2022, S. 66 f.). Deshalb haben sich Legal Tech-Tools primär bei Verbraucherrechten und Massenverfahren - im Sinne einer benutzerfreundlichen Volumenstrategie und/oder Nischenstrategie - sowie bei der Vereinfachung von juristischen Arbeiten und Marktplätzen für Anwaltsdienstleistungen etabliert (Quarch, 2022, S. 1137 ff.).

2.3.3.2 Auch Bau- und Immobilienrecht als Aktionsfeld für Legal Tech

Grundsätzlich sind eine Vielzahl juristischer Bereiche bzw. alle Rechtsgebiete für Legal Tech zugänglich, sofern ein ausreichender Grad an Gleichförmigkeit und Wiederholung vorliegt (Stasch, 2022, S. 11). Im Immobilienrecht mit ihren Grundregistern werden staatliche Entwicklungen um eine Implementierung der Distributed-Ledger-Technologien (DLT) in der Verwaltung von Interesse sein (Danninger, Gaul, Glatz, Nehrenheim, Papp, Rieger, & Wagner, 2021, S. 223 f.). Zwar wäre in der Schweiz die Führung der Grundbücher mithilfe der Blockchain-Technologie rechtlich denkbar, für eine solche Systemumstellung mit den damit verbundenen Gesetzesanpassungen wird jedoch (noch) kein Bedarf gesehen (Bericht des Bundesrates, 2018, S. 84 f.).


3 Legal Tech-Potentiale des Bau- und Immobilienanwalts

Die Immobilienbranche in der Schweiz befindet sich in einem starken, durch digitale Transformation getriebenen Strukturwandel. Immer mehr digitale Plattformen werden marktrelevant und bieten neuartige Möglichkeiten für Immobiliendienstleister und Branchenbeteiligte (vgl. Rinka, 2022, S. 20 f.). Die Anbieter von PropTech, verstanden als Ökosystem der Effizienzsteigerung der Immobilienwirtschaft durch technologische Lösungen, wachsen inzwischen beachtlich (siehe PropTech Map Switzerland, 2022). Diese Entwicklung, zusammen mit anderen gesellschaftlichen und technologischen Neuerungen, bildet Anlass und Grundlage für neuartige Legal Tech-Anwendungen. Nachfolgend seien einige Opportunitäten aus Sicht des Immobilienanwalts beleuchtet.

3.1 Mietrecht & Smart Contracts

Das Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern beinhaltet viele Anknüpfungspunkte, die grundsätzlich einer massenhaften Bearbeitung und Standardisierung zugänglich sind.

3.1.1 Digitaler Mietvertrag

Unter dem Dach von SVIT Schweiz wurde der von Immobilienbranchenvertretern erarbeitete digitale Mietvertrag von SVIT Futureboard samt zugehörigem Leitfaden für Immobiliendienstleister erarbeitet. Dieser bietet Unterstützung bei allen Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen. Der digitale Mietvertrag umfasst auf Basis digitaler Stammdaten von Vermietungsobjekten die Ausschreibung und Bewerbung über das Bewerbungs- und Vertragsmanagement bis zur Kündigung, wobei ein durchgängig digitalisierter Prozess angestrebt wird, frei von Medienbrüchen und unter Einbindung sämtlicher Umsysteme, wobei der Leitfaden die technologischen, rechtlichen, prozessualen und gesellschaftlichen Themen erläutert (SVIT Futureboard, 2022, S. 3-5).

3.1.2 Mietzinsüberprüfungen

Bereits seit einiger Zeit existieren Legal Tech-Online-Plattformen, die Mietern durch Erfassung von anspruchsbegründenden Sachverhaltselementen die Überprüfung der bezahlten Miete und deren rechtlichen Zulässigkeit erlauben sowie Unterstützung bei der Rückforderung zu viel bezahlter Mieten anbieten (Artz & Pielsticker, 2022, S. 1065). Es sind Portale von (teilweise) «automatisierten Rechtsberatungsprodukten» unter Softwareeinsatz zwecks Maximierung der Prozesseffizienz. Sie ermöglichen Dokumentenuploads mit einer formular- bzw. dialogbasierten Erfassung der Kundendaten, wobei die Detailprüfung und weitere Bearbeitung durch spezialisierte Rechtsanwälte oder Experten erfolgt (Mielke & Wolff, 2021, S. 108 f.).

Ein Beispiel dafür ist CONNY (vormals wenigermiete.de). Auf Basis der in Deutschland geltenden gesetzlichen Mietpreisbremse wird Mietern die softwarebasierte Überprüfung der Mietzinszahlungen per Online-Fragebogen angeboten, mit direktem Erhalt eines Ergebnisses zum Mietzinsreduktionsanspruch und anschliessender (vertretungsweiser, inkassoähnlicher) Rechtsdurchsetzung gegenüber dem Vermieter. Der vordefinierte Anspruch wird an den Mieter ausbezahlt, CONNY übernimmt alle Gerichts- und Anwaltskosten (CONNY, 2022). Dieses Businessmodell, das auch als «Legal Fracking» bezeichnet wird, fokussiert auf der Monetarisierung massenhafter (Verbraucher-)Rechte mit möglichst weitgehender Automatisierung als «Fliessband für wiederkehrende rechtliche Vorgänge» und einer Datenextraktion aus Dokumenten (namentlich Verträgen, Gerichtsakten) mithilfe Künstlicher Intelligenz im Sinne eines Expertensystems, hinterlegt durch «Wenn-Dann-Logiken» (Halmer, 2022, S. 8, 12, 22, 29 f.).

Angesichts der recht weitgehenden Formalisierung des gesetzlichen Schutzes vor missbräuchlichen Mietzinsen gemäss OR (Obligationenrecht, Art. 269 ff.) wäre jedenfalls eine Teil-Automatisierung der Mietzinsüberprüfung durch Legal Tech auch in der Schweiz denkbar. Solche Tools wären in die eigene anwaltliche Tätigkeit, zur Entlastung des Anwalts, zu integrieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Eine andere Option ist die direkte Kooperation spezialisierter Anwälte mit derartigen Legal Tech-Firmen, sei es bei der Entwicklung oder beim Einsatz solcher Tools.

3.1.4 Smart Contracts im Besonderen

Smart Contracts, verstanden als Softwarelösungen bzw. Computerprogramme, die bei Eintritt vorab definierter Parameter rechtlich relevante Massnahmen wie Willenserklärungsabgaben, Vertragsabschlüsse oder Vollzugshandlungen garantiert und manipulationssicher automatisiert ausführen und dokumentieren (Glatz, 2021, S. 138 ff.; Rein, 2020, S. 489; Remmertz, 2020a, S. 117), kommen zunehmend in der «Sharing Economy» zum Einsatz (Looschelders & Derkum, 2022, S. 881 f.; Mielke & Wolff, 2019, Ziff. 2 und Ziff. 3.3.2;). Smart Contracts sind geläufig bei Vermietungen von Fahrzeugen und Hotelzimmern (Looschelders & Derkum, 2022, S. 882), können aber auch bei Wohnungen, Ferienhäusern, Berghütten und jeder Art von insbesondere kurz- und mittelfristigen Gebrauchsüberlassungen von Räumen oder Gegenständen zur Anwendung gelangen. Smart Contracts können, müssen aber nicht mit der Blockchain-Technologie verknüpft sein, wobei sie mit ihrer kryptographischen Absicherung Fälschungssicherheit, Nachvollziehbarkeit und Dokumentation von vertragsrelevanten Vorgängen, kostengünstig ohne Einschaltung eines Intermediärs, versprechen (Mielke & Wolff, 2019, Ziff. 2.2). Die Besitzverschaffung an einem Zugangs-«Schlüssel» kann auf der Blockchain mittels Übertragung eines Token erfolgen, man spricht von «Smart Property». Weiter kann die rechtsgeschäftliche Besitzübertragung auch durch Besitzanweisung oder Besitzeskonstitut gemäss ZGB (Zivilgesetzbuch, Art. 924 Abs. 1) und damit durch Verschiebung eines Token vollzogen werden (Bericht des Bundesrates, 2018, S. 65 f.).

Die Vertragsabwicklung per Smart Contract erfolgt automatisiert durch Nutzungsfreischaltung, sobald der Berechtigte den Gebrauchsüberlassungsvertrag über eine mobile Anwendung (Tablet oder Smartphone) mit dem Anbieter abgeschlossen und die Vergütung dafür bezahlt hat. Ebenso tritt die Nutzungsbeendigung, bei Zahlungsverzug eine Mietobjektssperre, automatisch ein (Rein, 2020, S. 490; Müller, 2017, S. 611). Die Programmierung der Smart Contract-Software erfolgt nach dem «Wenn-Dann»-Muster analog der Rechtssystematik von Tatbestand und Rechtsfolge (Looschelders & Derkum, 2022, S. 885). An Grenzen stossen Smart Contracts immer dann, wenn komplexere Störungen auftreten oder etwa eine Preisminderung infolge von Mängeln und dem damit inhärenten einzelfallbezogenen Beurteilungsspielraum in Frage steht (Rein, 2020, S. 490).

Smart Contracts werfen mannigfache Rechtsfragen auf, etwa betreffend internationale Regulierung und anwendbares Recht, Haftung, Daten- und Verbraucherschutz, Vertrags-, Wettbewerbs- und Kartellrecht oder zur Rechtsdurchsetzung (Jaccard, 2017, S. 7 ff.; zur umstrittenen Haftung bei fehlerhaften KI-Anwendungen Bleskie, 2018, S. 14 ff.; Miskolczi & Thingna, 2022, S. 126 f.). Gerade das Mietrecht mit seinen vielen (teil-)zwingenden Gesetzesnormen kann mit einer automatisierten Rechtsdurchsetzung in Konflikt geraten. Der selbstausführende Programmcode kann auch eigene Konfliktregeln enthalten, um bei Leistungsabweichungen eine Vertragsanpassung vornehmen zu können. Lösungsansätze für eine Streitbeilegung sind sog. Orakel (Offline-Welt-Verbindung), Schlichtungsstellen oder Schiedsgerichte sowie Crowdsourcing (Glatz, 2021, S. 145 f.; Weber, 2017, S. 6; Rein, 2020, S. 491). Allerdings reduziert sich der mit Smart Contracts versprochene Effizienzgewinn oder entfällt gänzlich, sofern keine Vollautomatisierung mit klaren «Wenn-Dann»-Bedingungen erfolgreich umsetzbar ist und der Mensch eingreifen muss. Erweist sich ein menschlicher Eingriff in ein Smart Contract-Konzept als notwendig, aber im Einzelfall unmöglich, so gehen nicht nur Effizienz, sondern auch Rechtssicherheit verloren in einer «faktisch nicht justiziablen Parallelwelt» mit irreparablem Schadenspotential (Looschelders & Derkum, 2022, S. 885). Deshalb sollen Smart Contracts vor allem oder nur dann eingesetzt werden, wenn die Verknüpfung von Recht und Technologie eine vorausschauende Verwirklichung der von der Rechtsordnung vorgegebenen Wertungsfragen durch Reduktion auf umsetzbare «Wenn-Dann»-Logiken tatsächlich ermöglicht, um so das grosse Potential an Effizienzsteigerung und auch Rechtssicherheit ausschöpfen zu können (Looschelders & Derkum, 2022, S. 893 f.).

3.2 Bauverträge, Immobilientransaktionen, Proptechs & Metaverse

3.2.1 Legal Tech-Anwendungen bei Standardverträgen und -abwicklungen

Bauwerkverträge mit Handwerkern, General- und Totalunternehmern, Planerverträge mit Architekten und Ingenieuren sowie Immobilientransaktionen (Kauf- und Verkaufsgeschäfte, Reglemente im Stockwerkeigentum) basieren oftmals auf teilweise stark standardisierten Vertragsdokumenten. Somit eignen sie sich auch für ein strukturiertes Dokumentenmanagement, für eine Dokumentenanalyse, eine automatisierte Dokumentenerstellung und Vertragsprüfung. Mittelfristig ist mit einer Automatisierungswelle bei Erstellung und Prüfung solcher Vertragsurkunden zu rechnen, mithin mit einer erheblichen Vereinfachung bei Immobilientransaktionsabwicklungen. Der Anwalt wird sich dann auf Einzelfallprobleme konzentrieren können, die Spezialwissen und Branchenerfahrung erfordern. Handänderungen werden möglicherweise dereinst online bzw. rein digital, ohne physische Mutationshandlungen auf dem Grundbuchamt, vollzogen werden können, auch wenn dies bis auf Weiteres nicht absehbar ist (oben Ziff. 2.3.3 a. E.).

3.2.2 Digitalisierungsschub durch PropTech-Unternehmen

Inzwischen gibt es recht etablierte PropTech-Unternehmen, die über digitale Plattformen Dienstleistungen für zentrale (Teil-)Bereiche im Vorfeld und im Zusammenhang mit Immobilientransaktionen anbieten. Erwähnt seien beispielhaft nur einige wenige: Baufinanzierung, Bewertung, Projektentwicklung, Gebäudezustandsanalyse und Wohneigentumssanierung decken etwa die beiden schweizerischen Proptechs PriceHubble, namentlich für Investoren und Projektentwickler (PriceHubble, 2022), sowie Houzy, insbesondere für Wohneigentümer und Kaufinteressenten (Houzy, 2022), ab. Solche Immo-Plattformen und damit verbundene neue Projekt- und Transaktionsabwicklungen bieten interessante Schnittstellen zwischen Legal Tech und PropTech.

3.2.3 Blockchain

Massgebliche Entwicklungen sind bei der Tokenisierung von Immobilien, und damit von Transaktionen an Immobilienanteilen zu erwarten. Die im Januar 2020 abgewickelte, (seinerzeit) weltweit grösste Immobilientransaktion mit Token über mehr als CHF 130 Mio. betraf eine Gewerbe-immobilie an der Bahnhofstrasse in Zürich, die in Form einer Aktientransaktion und der Kaufpreiszahlung mittels eines Unternehmenstokens erfolgte (Crypto Valley Journal, 2020; zu den zivilrechtlichen Aspekten der Token-Wirtschaft Kuhn, Stengel, Meisser, & Weber, 2019). Seit 1. Februar 2021 ist Art. 973d ff. OR in Kraft und damit die Rechtsgrundlage für (Aktien-)Token als Registerwertrechte, wobei auch die DLT-Technologie (mithin eine Blockchain) dem Werteregister zugrunde gelegt werden kann.

3.2.4 Metaverse

Immobilienanwälte werden sich mit Zukunftsthemen wie dem Kauf von Grundstücken im Metaversum, verstanden als «Sammelbegriff für digitale Parallelwelten», befassen. Beispiele sind das Betreiben von virtuell-grundstücksbasierten Geschäften, Kasinos oder digitalen Galerien. Schon heute können digitale Parzellen, etwa in der Welt von Decentraland mit deren eigenen Kryptowährung Mana erworben werden. Im Digitalen gelten bekannte Erfolgsprinzipien für die Immobilienakquisition, etwa der Grundsatz «Lage Lage Lage» genauso. Der Grundstückserwerb kann manipulationssicher mit der Blockchain-Technologie abgesichert werden (Pollerhof, 2022, S. 62 f.).

Die Stichwortsuche «Metaverse» in Google oder Wikipedia ergibt etwa folgende breit verstandene Definitionen: es geht um einen konsistenten, persistenten digitalen Raum, der durch Konvergenz von virtueller, erweiterter und physischer Realität entsteht. Es handelt sich um virtuelle Welten, in welche sich Nutzer hineinbegeben und kommunizieren, interagieren, spielen, konsumieren sowie Services anbieten und beanspruchen. Dieses Eintauchen wird namentlich unterstützt durch die 5G- und Cloud-Technologie, DLT und Smart Contracts sowie Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und AR-Brillen.

Beim Thema Metaverse geht es mithin primär darum, Entwicklungen im eigenen Branchenumfeld zu beobachten und darüber nachzudenken, ob und wie Kunden-Angebote eingebracht werden können.

3.3 Smart Home & IoT

3.3.1 Vernetzung und Aktivierung von Maschinen und Geräten

Unter «Smart Home» wird im Wesentlichen die digitale Verbindung unterschiedlicher Gerätschaften wie TV- und Musikanlagen, Geschirrspüler, Waschmaschinen, aber auch Backofen und Kühlschränke untereinander sowie die Vernetzung diverser Ausstattungen etwa für Klima, Lüftung und Beleuchtung miteinander und schliesslich deren Koppelung verstanden. Durch diese Vernetzung soll Wohn- und Lebensqualität, Sicherheit und Energieeffizienz gesteigert werden. Zentral ist die Fernsteuerbarkeit der Systeme über Tablets und Smartphones. «Intelligente» Einrichtungsgegenstände, beispielsweise bedarfsgerecht nachbestellende Kühlschränke oder bei hoher CO2-Konzentratin automatisch lüftende Fenster, können gar eigenständig handeln (Artz & Pielsticker, 2022, S. 1066, 1068). Digitales Vorratsmanagement als typischer Anwendungsbereich des Internet of Things (IoT) kann unter Einsatz von Smart Contracts mit automatisiertem Abruf von Wartungs- und Reparaturarbeiten kombiniert werden. Ein Beispiel wäre die bedarfsgerechte Beschaffung von Brennstoff für die Heizung oder von Waschmitteln und Ersatzteilen für die Waschmaschine (Müller, 2017, S. 611; Mielke & Wolff, 2019, Ziff. 3.3.1 und 3.3.2; zum algorithmischen Hintergrund bei Smart Contracts Glatz, 2021, S. 140 ff.).

3.3.2 Neue Rechtsfragen

Werden aus Sicherheitsaspekten, namentlich in Spezialliegenschaften wie Pflegestätten und Alterssiedlungen und in publikumsöffentlichen Gebäuden Überwachungsgeräte, Bewegungsmelder oder mit Sensoren durchzogene Fussböden, oder aber aus Energiespargründen automatisch nutzeradäquat ein- und ausschaltende Heizgeräte und Lichter sowie mittels «Smart Meter» zu Energieniedrigpreiszeiten startende Waschmaschinen verbaut, so gilt Folgendes: Es stellen sich viele ungeklärte Rechtsfragen (Artz & Pielsticker, 2022, S. 1069-1071; Mielke & Wolff, 2019, Ziff. 4). Soweit beim Einsatz von Smart Contracts eine identifizierte Leistungsstörung softwarebasiert eine automatisierte Rechtsfolge auslöst, so verschiebt sich systembedingt die Beweislast auf diejenige Partei, von der die Software annimmt, dass sie den Vertrag bzw. die programmierten Vorgaben verletzt (Mielke & Wolff, 2019, Ziff. 4). Mit solchen Entwicklungen, die besonders bei laufenden Mietverhältnissen und im Rahmen öffentlich zugänglicher Gebäude Rechtsansprüche Betroffener tangieren, wird sich der Bau- und Immobilienanwalt mit Vorteil frühzeitig befassen.

3.4 Digitales Bauen mit BIM

BIM (Building Information Modeling) wird als kollaborative Arbeitsmethode zur digitalen Planung und Realisierung sowie Bewirtschaftung von Bauvorhaben auf gemeinsamer Datenbasis (Digital Twin) vorläufig erst von professionellen grossen Bauherrschaften massgeblich eingesetzt.

3.4.1 Zunehmende Standardisierung und Industriealisierung des Bauens

Der Trend ist klar: es ist eine zunehmende Systematisierung und Normierung der Bauprozessabwicklung und des Informationsmanagements zu beobachten. Die mit BIM mitunter angestrebte «Integrated Project Delivery» (IPD) dürfte bis auf weiteres zwar grossmehrheitlich auf Basis traditioneller und individueller Einzelverträge erfolgen, aber unter verbindlicher Vorgabe der IPD-Grundsätze an alle Projektbeteiligten über zentrale Vertragsdokumente (Thaler, 2022, S. 21). Solche «General Conditions» verfügen über durchaus erhebliches Standardisierungspotenzial. Die darin verknüpften Branchenstandards können für den Bau- und Immobilienanwalt, zusammen mit dessen spezifischer juristischen Fachexpertise etwa Grundlage für eine qualitätsvolle Dokumentenautomatisierung bilden. Effizienzsteigerung und Wettbewerbsvorteile wären die Folge, sofern es gelingt, Mehrwert für Kunde und Anwalt zu generieren.

3.4.2 Neue digitale Schnittstellen zwischen Anwalt und Kunde

Die Anwaltsdienstleistung ist auf die individuellen digitalen Kundenbedürfnisse auszurichten. Beim Digital Twin befinden sich die bauwerksrelevanten Daten aller kollaborierenden Projektinvolvierten (Architekten, Fachplaner, Termin- und Kostenmanager, Bewirtschafter und BIM- sowie weitere Spezialisten) auf einer gemeinsamen Kommunikationsplattformen. Für den Bau- und Immobilienanwalt bedeutet dies, befähigt zu sein, nach Bedarf selbst eine «Schnittstelle» zur BIM-Plattform betreiben, zumindest die Rollen der Beteiligten und deren Leistungen im BIM-Prozess verstehen und BIM-Daten mit Blick auf eine fachkundige rechtliche Beratung «lesen» zu können. Dies erfordert vertiefte juristische Spezialkenntnisse, aber auch ein gewisses technisches Know-how zur BIM-Methodik des digitalen Bauens, gepaart mit erweiterten digitalen Basisanwenderkenntnissen. Um insoweit ein «Digital Real Estate Lawyer» zu sein und von Wettbewerbsvorteilen profitieren zu können, ist der Fokus auf die Erarbeitung und Aufrechterhaltung entsprechenden Know-hows zu richten. Letztlich geht es um eine Kommunikation zwischen Anwaltskanzlei und Klientel, die nicht mehr auf E-Mail basiert, sondern über Plattformen und Schnittstellen, die eine Brücke schlagen (in diesem Sinne ganz allgemein Raschewski & Schicker, 2022, S. 35).

3.5 Öffentliches Baurecht & GIS-Daten

3.5.1 Besonderheiten aus Legal-Tech-Optik

Öffentlich-rechtliche Baugesetzgebung, insbesondere die Baubegrenzungsnormen zur zulässigen Ausnutzung, zu den Abmessungen (Abstände, Länge, Breite, Höhe), zur Bauweise (Erscheinung von Gebäuden) und zur Nutzweise (Nutzungszweck) sowie die Umweltschutzvorgaben (etwa Lärmschutzwerte) sind in der Schweiz «vertikal» fragmentiert. Sie sind auf Bundes-, Kantons- und in unterschiedlicher Detailausgestaltung auf Gemeinde-Ebene geregelt. Solche Nutzungsvorschriften, beispielsweise in den kommunalen Bau- und Zonenordnungen oder in der bundesweiten Lärmschutzverordnung, die zudem öffentlich und meist auch digital zugänglich und verfügbar sind, charakterisieren sich in recht erheblichem Ausmass als Normen und Daten, die strukturierbar und mathematisch erfassbar sind. In diesem Rechtsbereich liegt, weil der Umfang an unbestimmten Rechtsbegriffen und «Ermessensnormen» geringer als anderswo ist, ein Teilbereich der Gesetzgebung vor, der grundsätzlich «codiert», automatisiert und auch analysiert werden kann.

Dazu kommen viele im Zusammenhang mit der Erfassung und Bearbeitung sowie Organisation, Analyse und Präsentation stehende räumliche, Umwelt- und Bauvorhabens-relevante Daten (Geoinformationssysteme, GIS), die strukturiert und digital verfügbar sind. Zu nennen sind etwa die kantonalen GIS-Browser (z.B. im Kanton Zürich maps.zh.ch sowie giszh.ch) oder die bundesweiten digitalen Geodaten swisstopo.ch und opendata.swiss. Auf allen nationalen Ebenen bestehen sodann öffentlich zugängliche Inventare, etwa des Naturschutzes und Heimatschutzes (Denkmalpflege). Solche Raum- und Bauwerks-relevanten Sachverhaltsdaten können mit den gesetzgeberischen Daten verknüpft und zusammen softwarebasiert ausgewertet werden.

3.5.2 Potential für Legal Tech & neue Risiken

Aus solchermassen verknüpften Daten lassen sich beispielsweise automatisierte, grundsätzlich rechtskonforme Bauprojektvarianten erstellen. Erste Tools existieren bereits (vgl. LUUCY, 2022). Es winken Effizienzgewinne auf der Terminschiene und Kostenseite einer Bauwerksplanung und -realisierung, womit die Gefahr von Disruption für traditionelle Anbieter von Projektentwicklungsleistungen besteht. Es gilt aber auch, inhärente Gefahren zu beachten. Schon heute fördern institutionelle Bauherren und die etwas starre, mitunter Uniformität nach sich ziehende Baugesetzgebung, zusammen mit dem Marktbedürfnis nach immer grösseren Wohnungen, eine tendenziell zunehmende ästhetische Monotonisierung und Anonymisierung der Architektur in der Schweiz (Bandle, 2022). Diese Gefahr könnte durch eine weitere Industrialisierung der Immobilienwirtschaft und eine gleichzeitige Zunahme von Legal Tech-Anwendungen grösser werden. Aus Bauanwaltssicht stellt sich primär die Frage nach einer hilfsweisen Verwendung solcher Tools zwecks erster Einschätzung der Rechtskonformität eines Bauvorhabens. Der Bedarf nach Beratung im Streitfall wird angesichts der zunehmenden Komplexität und Normendichte beim Bauen kaum zurückgehen.


4 Schlussfolgerung & Empfehlung

Letztlich geht es bei der Realisierung von Legal Tech-Opportunitäten darum, kontinuierlich zu verfolgen, was aktuell ins Blickfeld gehört, um künftig nicht den Anschluss verloren zu haben (Breidenbach & Glatz, 2021, S. 9). Für die Nachhaltigkeit des eigenen Geschäftsmodells sind und bleiben drei Kernfragen zentral: was ist meine Expertise? Wie generiere ich Mehrwert? Wie vermeide und reduziere ich repetitive unproduktive Arbeiten? (Walter, 2020, 40).

Das High-End-Geschäft einer spezialisierten Bau- und Immobilienkanzlei bildet grundsätzlich eine ausgezeichnete Basis, um disruptiven Entwicklungen der Branchendigitalisierung erfolgreich begegnen zu können. Gleichwohl birgt auch das Geschäftsumfeld einer «Boutique»-Kanzlei - bei Lichte besehen - diverse Bereiche, die sich durch Gleichförmigkeit und Strukturierung, teilweise auch durch Repetitivität, auszeichnen. Automatisierungspotential besteht also genügend, aber ein «End of Lawyers» droht keinesfalls.

Unter dem Aspekt einer voranschreitenden Digitalisierung von Gesellschaft und Immobilienbranche sind in erster Linie, kanzleiadäquat und in individueller Evaluation, alle effizienzsteigernden kostenadäquaten Massnahmen zur Erreichung einer massgeschneiderten digitalen Kanzlei umzusetzen. Das veränderte anwaltliche Ökosystem verlangt, auf die neuen Tendenzen des New Work zu reagieren und ein starkes Augenmerk auf die unabdingbar gewordene Option eines strategisch mit dem Geschäftsmodell verknüpften Digital Legal Marketing zu werfen.

Legal Tech-Anwendungen sind sorgsam, namentlich auf das Mehrwertpotential für Kunde und Kanzlei zu evaluieren und zu implementieren. Für den Immobilienanwalt werden sich heutige Legal Tech-Potentiale mit der Zeit zu Standard-Einsatzmöglichkeiten für Teilbereiche seiner Leistungserbringung entwickeln. Solche Opportunitäten sind im Rahmen vielfältiger digitaler Kollaborationsmöglichkeiten mit anderen Kanzleien und Anwälten, aber ebenso mit Fachexperten weiterer Disziplinen zu denken und umzusetzen.

Unabhängig davon ist (und bleibt) die stetige fachliche Weiterbildung unabdingbar und ein primärer Erfolgsfaktor für «Boutique»-Kanzleien, wobei Fähigkeiten und digitale Kompetenz wichtiger werden als das reine Wissen (Mayr, 2022, S. 171, 172 f.).

Neue Businessmodelle von Legal Tech-Unternehmen und die Immobilienwirtschaft verändernde Proptechs verlangen vom Bau- und Immobilienanwalt technisches Verständnis der Systeme und Beurteilungskompetenz zu neuen Rechtsfragen. Zukunftsorientierte Immobilienanwälte kombinieren dies mit weiteren «Soft-Skills» wie Anpassungs- und Kommunikationsfähigkeit oder wirtschaftlichem, sozialem und unternehmerischen Bewusstsein, um ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhöhen (Mayr, 2022, S. 181 ff.). Das interdisziplinäre Arbeiten im Team und auf Augenhöhe wird immer wichtiger, ebenso die Zusammenarbeit mit Experten in nicht-juristischen Sparten, Fähigkeiten im Projektmanagement sowie Führungs- und Lernkultur. Damit soll die Erwartung nach einem umfassend beratenden und die übergeordneten Zielsetzungen des Kunden verfolgenden «Trusted Advisor» erfüllt werden (Sengpiel, 2022, S. 36, 45).

Technologieaffine Immobiliendienstleister erwarten von Anwälten adäquate Kommunikationskanäle und -plattformen, also einen «Digital Real Estate Lawyer». Er soll verstehen, wie BIM bzw. Zusammenarbeitsplattformen einer Virtual Design Construction (VDC) funktionieren, um bestmöglich juristisch beraten und spezifische Konstellationen richtig beurteilen zu können. Dazu gehört selbstverständlich das Know-how, wie digitales Bauen rechtlich, zuvorderst vertragsrechtlich, zu gestalten ist. Letzteres ist eine veritable Herausforderung.

More-for-less ist nicht nur ein kundengetriebener digitaler Transformations- und Disruptionsfaktor, der Anpassungen an anwaltlichen Geschäftsmodellen erfordert. Er soll auch Leitfaden für den Anwalt selbst sein: Der Fokus ist zu legen auf das Wichtige und Machbare, unter einer Kosten-/Nutzenanalyse (Wiesner & Fechner, 2022, S. 78). Aber das, was man tut, soll man richtig, professionell und zielgerichtet auf Basis einer bedachten Strategie tun (Knoll, 2022, S. 21 ff., 27 ff.).

Insgesamt ist davon auszugehen, dass laufend neue Geschäftsmodelle und -opportunitäten für spezialisierte Bau- und Immobilienanwälte entstehen werden. Kommerziell interessante Potentiale werden tendenziell zunehmen. Die Nischenstrategie als «Boutique»-Kanzlei dürfte insgesamt recht krisenfest sein. Qualifizierte Rechtsberatung bleibt gesucht, deren Nachfrage dürfte gar steigen, denn einzig «das juristische bzw. anwaltliche Hirn prüft und gestaltet», wenn auch die digitalen Tools laufend besser werden (Breidenbach, 2022b, S. 50). Hingegen wird sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahren massiv verändern, weil ein immer grösserer Teil der Arbeit nicht nur digital, sondern automatisiert und mittels Algorithmen erledigt werden wird (Quarch, 2022, S. 1143).

Die Empfehlung in einem Satz: «Weil kaum etwas bleibt, wie es war: sei wachsam, lernfreudig, neugierig sowie freudvoll und mutig, aber auch sorgsam bei der Adaption neuer digitaler Technologien und Zusammenarbeitsformen».



Autor: Daniel Thaler

 
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