Digitales Bauen: Projekterfolg durch Allianzverträge?

 

Digitalisierung der Bauwirtschaft, Bauen mit BIM, zunehmende Komplexität bei Bauprojekten, Nachhaltigkeitserfordernisse und Fachkräftemangel fördern das Bedürfnis nach kooperativen Vertragsmodellen.

Planung und Realisierung komplexer Bauvorhaben erfolgen zunehmend durch digitale Modelle (BIM, VDC, Lean). Führt das Bedürfnis nach Steuerung, Simulation und Analyse mittels Digital Twin über den Lebenszyklus einer Immobilie sowie produktionsbezogenen, prozessgesteuerten und ressourceneffizienten Projektabwicklungen zum Durchbruch für kooperative Vertragsmodelle (Allianzverträge, IPD, IPA)?

KOOPERATION UND SYSTEMATISIERUNG

Digitales Bauen funktioniert teamorientiert-interdisziplinär und erfordert viel Koordination. Aufgaben verschieben sich, produzierende Handwerker sind schon in der Planung einzubeziehen. Das primäre Interesse am Projektergebnis soll über dem eigenen Nutzen stehen, was einen Kulturwandel bedingt.

Bis dato gibt es keinen rechtlichen Standard und keine vorherrschende BIM-Methode mit bewährten Vertragsmustern. Dokumente und Empfehlungen des SIA, der KBOB oder von Bauen digital Schweiz dienen lediglich der Orientierungshilfe. Die SIA 1001/11-Zusatzvereinbarung BIM ist nur eine Art Checkliste, teils mit Regulierungsvorschlägen. Das BIM-Merkblatt SIA 2051:2017 will eine gemeinsame Verständigungsgrundlage bei Anwendung der BIM-Methode schaffen. Bauen digital Schweiz hat im Januar 2022 ein BIM-Abwicklungsmodell erarbeitet, das eine formale  BIM-Projekt-Abwicklung erläutert, und inzwischen wurde ein «Nationales Glossar zur Digitalisierung in der Bau- und Immobilienwirtschaft» zur einheitlichen Terminologie beim digitalen Bauen geschaffen, was laufend aktualisiert werden soll. Digitale Geschäftsmodelle und kulturelle Transformation fördern will auch der Ratgeber «Integrale Projektabwicklung - Positionspapier und Orientierungshilfe für Bestellende» (September 2022). Eine Light-Variante von IPD propagiert «The Branch» mit dem Arbeitspapier «Design-Build und Gesamtleistermodell » (November 2022).

INDIVIDUALINTERESSE ODER ALLIANZ?

Traditionell dominieren Zweiparteienverträge, die auf Interessengegensatz beruhen, indem jeder seine Interessen durchsetzen will. BIM und neue Technologien haben diese Kultur nicht grundlegend verändert. Geschäftsmodelle divergieren erheblich. Digitalisierung und Systematisierung allein führen nicht zur Interessenangleichung. Neue Vertragsmodelle sollen nun eine Interessengleichrichtung fördern, was Erfolg versprechend ist, wenn eine individuelle Zuweisung von Verantwortung, Haftung und Gewährleistung problematisch oder erschwert ist, dagegen kritisch erscheint, wenn bekannte Projektrisiken den Projektbeteiligten zugewiesen werden können.

Kooperative Vertragsgestaltung berücksichtigt gesellschaftliche sowie Nachhaltigkeitstrends, wobei nicht einer auf Kosten des andern gewinnen soll, sondern alle gemeinsam sollen gewinnen oder verlieren. Projektallianzen bedeuten gemeinsame Risikotragung statt Risikoallokation, mit gemeinschaftlicher Entscheidungsbefugnis «best for project». Grundsätzlich sind, Absicht und Grobfahrlässigkeit vorbehalten, untereinander umfassende Haftungsausschlüsse vorzusehen, Projektrisiken und Mängel sind gemeinsam zu tragen. Selbstkosten aller Beteiligten werden garantiert, alsdann gilt ein anreizbasiertes, erfolgsabhängiges Bonus-/Malus-Vergütungssystem. Einzelfalllösungen bleiben möglich, etwa der Ausschluss einzelner Risiken wie das Baugrundrisiko.

Mehrparteienverträge haben sich in der schweizerischen Bauwirtschaft bisher schwergetan, nicht zuletzt wegen drohender gemeinschaftlicher Haftung. Kooperative Modelle wurden eher auf Basis individueller Einzelverträge erörtert mit der Empfehlung, IPD-Grundsätze über zentrale Vertragsdokumente («General Conditions») für alle Projektbeteiligten vorzugeben. Diskutiert wurden auch ARGE-Verträge oder Projekt-Aktiengesellschaften.

Neueste Entwicklungen gehen nun weiter und konkretisieren sich. Bis 16. Oktober 2023 läuft eine Vernehmlassung des SIA zum Merkblatt «Planen und Bauen in Projektallianzen » (prSIA 2065:2023-07). Der SIA geht unter den Allianzpartnern nicht von einer einfachen Gesellschaft aus, sondern in Weiterentwicklung des traditionellen Austauschgedankens von einem werkvertragsähnlichen Innominatkontrakt. Alle Beteiligten sind frühzeitig einzubinden, Allianzverträge sind projektadäquat individuell auszuarbeiten und zu ergänzen. Das Merkblatt enthält Vertragsregulierungsvorschläge. Später soll eine SIA-Vertragsnorm entstehen. Es wird sich weisen, ob für komplexe Bauvorhaben den Projektallianzen die Zukunft gehört. Für andere Bauvorhaben dürften traditionelle Austauschverhältnisse vorherrschend bleiben.


Autor: Daniel Thaler

 
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