Lockdown und Mietrecht – ein interessantes Verhältnis
Mit der Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19-Verordnung 2) in der Fassung vom 17. März 2020 liess der Bundesrat öffentlich zugängliche Einrichtungen, wie Einkaufsläden (non-food) und Märkte, Restaurationsbetriebe, Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe etc. für das Publikum vorübergehend schliessen.
Die dogmatische Diskussion darüber, ob Mieter, die von der verordneten Schliessung durch den Bundesrat direkt betroffen waren, weiterhin Miete bezahlen müssen und wenn ja, in welchem Umfang, liess nicht lange auf sich warten. Vertreten wurden und werden dabei im Wesentlichen zwei Theorien:
Mängelrecht versus clausula rebus sic stantibus
Der eine Ansatz geht davon aus, dass ein Mietobjekt, das aufgrund von Art. 6 der COVID-19-Verordnung 2 (in der Fassung vom 17. März 2020) geschlossen werden musste, an einem Mangel leidet, was den Mieter nach Art. 259d OR zu einer entsprechenden Herabsetzung des Mietzinses berechtigt. Diese Theorie baut, kurz gesagt, auf der Überlegung auf, dass dem Mieter mit der in Mietverträgen regelmässig vorhandenen Gebrauchsvereinbarung (z.B. «das Mietobjekt wird dem Mieter als Restaurant/Bar vermietet», «der Mieter mietet das Mietobjekt zum Betrieb einer Coiffeursalons») zugesichert wird, dass das Mietobjekt über die Eigenschaft verfügt, dass es für das Publikum öffentlich zugänglich ist. Mit der verordneten Schliessung fällt diese Eigenschaft weg, was der Definition des Mangels entspricht.
Der andere Ansatz verneint das Vorliegen eines Mangels und betrachtet das Problem im Lichte der sog. clausula rebus sic stantibus, der Rechtsfigur also, wonach Verträge angepasst werden können, wenn sich die vertragserheblichen Verhältnisse – das sind solche, von denen der Wert oder der Unwert des Vertrags für eine Partei abhängt – im Laufe der Zeit verändern. Die Anpassung kann dabei in einer Auflösung, Verkürzung, Verlängerung oder in einer inhaltlichen Änderung des Vertrages bestehen. Angesichts dessen, dass das Mietrecht für den Fall veränderter Verhältnisse eine Lösung parat hält, nämlich die ausserordentliche Kündigung nach Art. 266g OR, ist in der Lehre allerdings umstritten, ob da noch Raum für eine anderweitige bzw. inhaltliche Anpassung der Vertrages durch den Richter in Form einer Mietminderung besteht.
Die Lösung der beiden Räte
Wie so oft lassen sich sowohl für den einen (Mängelrecht), wie für den anderen Lösungsansatz (clausula rebus sic stantibus) Argumente anführen, und es ist davon auszugehen, dass noch einige Zeit vergehen wird, bis sich die «richtige» Lösung in der Rechtsprechung durchgesetzt haben wird. Diesen steinigen Weg scheinen National- und Ständerat einem Grossteil der von den bundesrätlichen Massnahmen betroffenen Geschäftsmietern ersparen zu wollen: Anfang Juni 2020 beauftragten sie den Bundesrat damit, ein Gesetz auszuarbeiten, gemäss welchem Mieter, die ihren Betrieb schliessen mussten, während der Zeit der Schliessung nur 40 Prozent der Miete bezahlen müssen. Die Regelung gilt für Mieter, deren Mietzins die Höhe von CHF 20 000.00 pro Monat nicht überschreitet. Bei einem Mietzins zwischen CHF 15 000.00 und 20 000.00 pro Monat haben beide Parteien die Möglichkeit, von der Regelung abzusehen. Für Vermieter soll ein Härtefallfonds mit einem Kapital von CHF 20 Mio. geäufnet werden. Mit der Vorlage, die vor allem ein Sieg verschiedener Branchen- und Mieterorganisationen ist, werden Schätzungen zufolge ca. 92 Prozent der von den Schliessungen betroffenen Mietverhältnisse abgedeckt.
Obschon nicht feststeht, ob das Gesetz jemals in Kraft tritt, wird darüber bereits heute heftig debattiert. So wird etwa vorgebracht, der Gesetzgeber masse sich die Rolle des Richters an. Zudem sei unklar, weshalb die Grenze der erfassten Fälle bei CHF 15 000 bzw. 20 000 liegen und die Reduktion genau 60 Prozent betragen soll. Mit dem Gesetz werde sodann das unternehmerische Risiko des Mieters (zumindest teilweise) auf den Vermieter übertragen. Ein vom Hauseigentümerverband (HEV ) Zürich bei alt Bundesrichter Peter Karlen in Auftrag gegebenes Gutachten kommt gar zum Schluss, die Vorlage sei verfassungswidrig, da sie gleich mehrere Grundrechte verletze. Ständerat Christian Levrat dagegen hält das geplante Gesetz für unproblematisch, weil damit nur vorweggenommen werde, was von den Gerichten dereinst so oder ähnlich ohnehin entschieden werde. Was aber, wenn die Gerichte in den vom Gesetz nicht erfassten Fällen (Mietzins höher als CHF 15 000 bzw. 20 000 pro Monat) zum Schluss kommen sollten, dass ein Mieter, der seinen Betrieb schliessen musste, Anspruch auf eine Mietminderung in Höhe von 70, 80 oder gar noch mehr Prozent hat? Dann könnte sich der mit der Vorlage erzielte Erfolg der Branchen- und Mieterorganisationen schon bald als Pyrrhussieg erweisen. Insgesamt hinterlässt die Vorlage den Eindruck, dass sich die Räte in Zeiten beispielloser staatlicher Soforthilfen zu einem Schnellschuss haben hinreissen lassen, der letztlich mehr Fragen und Probleme aufwirft, als er löst.
Autoren: Matthias Tschudi, Daniel Thaler