Rechtliche Risiken von Nebenbestimmungen mit Umsetzungsspielraum

 

Publikation für die Zeitschrift PBG aktuell 3/2024

1 Ausgangslage

Im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung sind selten sämtliche Projektdetails geklärt, was zur heiklen Abgrenzungsfrage führt: Kann die baurechtliche Bewilligung unter Auflagen oder Bedingungen erteilt werden oder ist vorab die Überarbeitung der Baugesuchsunterlagen nötig?

Der Entscheid des Bundesgerichts 1C_203/2022 vom 12. April 2023 (BGE 149II 170) griff die Problematik einer grosszügigen Mängelbehebung mittels Nebenstimmungen in der Baubewilligung auf. Das Bundesgericht gelangte zum Schluss, dass ein Bauentscheid hinsichtlich seiner Anfechtbarkeit vor Bundesgericht nur dann als Endentscheid zu qualifizieren ist, wenn die Formulierung der Nebenbestimmungen keinen Spielraum für ihre Umsetzung belässt. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um einen Zwischenentscheid mit der Folge, dass dieser nur unter den Voraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG angefochten werden kann. Diese Rechtsprechung wurde in jüngeren Entscheiden bestätigt.

Im Folgenden werden die praxisrelevanten Konsequenzen dieser Rechtsprechung für die Bauherrschaft insbesondere unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Einheit der Baubewilligung erörtert.

2 Andauernde Ungewissheit über die Bewilligungsfähigkeit des Bauprojekts

In PBG aktuell 4/2023, S. 33 ff., wurde bereits dargelegt, wie das Bundesgericht mit dem eingangs erwähnten Entscheid die Baubehördenpraxis im Kanton Zürich in Frage stellt und weshalb sich diese Rechtsprechung des Bundesgerichts als überaus problematisch erweist.

Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichts hat für den Kanton Zürich zur Konsequenz, dass ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich nicht nur innert der 30-tägigen Beschwerdefrist, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt vor Bundesgericht angefochten werden kann, sofern eine Nebenbestimmung einen Spielraum für ihre Umsetzung belässt. Gemäss aktueller verwaltungsgerichtlicher Praxis wird deshalb in Bausachen keine Rechtskraftbescheinigung mehr ausgestellt, sondern nur noch eine Bestätigung, dass bisher kein Rechtsmittel eingegangen ist.

Kommt hinzu, dass auch die Verwirkungsfrist nach § 322 Abs. 1 PBG, welche vorsieht, dass die Baubewilligung nach drei Jahren erlöscht, wenn nicht vorher mit der Ausführung begonnen worden ist, erst mit der abschliessenden Beurteilung der Nebenbestimmungen und damit dem Eintritt der Rechtskraft der Baubewilligung beginnt. Die Bauherrschaft kann daher mit der (verzögerten) Einreichung der noch erforderlichen und zu bewilligenden Projektkonkretisierungen und -änderungen Einfluss auf den Beginn des Fristenlaufs nehmen, da sie lediglich das Zumutbare zu unternehmen hat, um ein Ausführungshindernis zu beseitigen.

3 Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Einheit der Baubewilligung und einer effizienten Projektplanung

Der Grundsatz der Einheit des Bauentscheids bezweckt, eine umfassende Würdigung des baurechtlichen Sachverhalts sicherzustellen. Mit der Baubewilligung soll das Bauvorhaben in seiner Gesamtheit geprüft werden, d. h. es ist unzulässig, dass wesentliche Teile des Projekts in einem nachgelagerten Verfahren bzw. zu einem späteren Zeitpunkt auflageweise beurteilt und bewilligt werden. Nicht nur die Baubehörde, sondern auch die Nachbarn müssen sich im Zeitpunkt der Baubewilligung ein umfassendes Bild der geplanten Baute machen können.

Um unnötige Aufwände möglichst zu vermeiden, ist es demgegenüber im Interesse der Bauherrschaft, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Gewissheit über die Bewilligungsfähigkeit des Bauprojektes zu erhalten. Detailfragen wie z. B. die konkrete Umgebungsgestaltung oder Materialisierung spielen für die Erteilung der Stammbaubewilligung keine Rolle und sind im Nachgang zu klären, auch wenn ein Entscheidungsspielraum besteht. Hiervon gibt es Ausnahmen, z. B. für den Fall, dass die erhöhten Gestaltungsanforderungen gemäss § 238 Abs. 2 PBG zur Anwendung gelangen, womit eine Gesamtbeurteilung erst nach Kenntnis bestimmter Planungsdetails möglich ist.

Können inhaltliche oder formale Mängel des Bauvorhabens ohne besondere Schwierigkeiten behoben werden oder sind zur Schaffung oder Erhaltung des rechtmässigen Zustands Anordnungen nötig, so sind mit der Bewilligung die gebotenen Nebenbestimmungen (Auflagen, Bedingungen, Befristungen) zu verknüpfen (§ 321 Abs. 1 PBG). Dieses Vorgehen ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV; SR 101]), es steht jedoch in einem Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Einheit der Baubewilligung.

Gemäss ständiger Rechtsprechung können daher nur solche Mängel mittels einer Nebenbestimmung behoben werden, welche untergeordneter Natur sind und nicht zu einer wesentlichen Projektänderung führen. Die Anordnung von Nebenbestimmungen kommt nicht in Betracht, wenn ohne grösseren planerischen Aufwand nicht beurteilbar ist, wie die Mängel zu beheben sind und welche baurechtlichen, konzeptionellen und gestalterischen Auswirkungen dies nach sich zieht.

Können Mängel eines Bauvorhabens nicht mit Nebenbestimmungen geheilt werden, ist seitens der Baubehörde eine Bauverweigerung auszusprechen bzw. ist das Projekt zunächst zu überarbeiten. Kommt erst das Baurekursgericht im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zum Schluss, dass eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit des Bauentscheids vorliegt, wird die Baubewilligung aufgehoben, damit eine umfassende Beurteilung durch die örtliche Baubehörde bzw. die Rechtsmittelinstanzen erfolgen kann.

Wendet die Baubehörde § 321 Abs. 1 PBG restriktiv an bzw. wird der Grundsatz der Einheit der Baubewilligung stärker gewichtet, wird damit der Anwendungsbereich der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gemäss BGE 149 II 170 reduziert. Die Bauherrschaft ist indessen zwecks effizienter Projektplanung darauf angewiesen, über eine (nach einem allfälligen Instanzenzug) rechtskräftige Stammbaubewilligung verfügen zu können, wenn die Umsetzung der noch erforderlichen, untergeordneten Projektkonkretisierungen oder -anpassungen infolge der Bereinigung der Nebenbestimmungen gesetzeskonform möglich ist. Und dies, selbst wenn ein Entscheidungsspielraum besteht, weshalb eine Änderung oder zumindest Einschränkung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gemäss BGE 149 II 170 wünschenswert ist.

4 Empfehlung

Rügt die Rekurrentschaft eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Baubewilligung, ist die Bauherrschaft in der Regel gut beraten, Projektkonkretisierungen und -änderungen, welche sich infolge der Bereinigung von Nebenbestimmungen mit Umsetzungsspielraum ergeben, umgehend zur Bewilligung einzureichen und nach Möglichkeit das Rekursverfahren bis zum Vorliegen des Entscheids sistieren zu lassen. Sind diese kritischen Nebenbestimmungen bereinigt und hat die Baubehörde eine Gesamtbeurteilung des konkretisierten bzw. abgeänderten Projekts vornehmen können, muss die Stammbaubewilligung in Kombination mit der bewilligten Projektkonkretisierung oder -anpassung durch das Baurekursgericht geschützt werden können. Die Aufhebung der Baubewilligung und anschliessende Neubeurteilung durch die Baubehörde würde sich diesfalls als formalistischer Leerlauf erweisen und zu unnötigen Verzögerungen führen.

Mit der raschen Bereinigung von Nebenbestimmungen mit Entscheidungsspielraum lassen sich zudem Verzögerungen durch potenzielle Rekurse gegen nachgelagerte Bewilligungen, welche für eine Baufreigabe einzuholen sind, verhindern und erhält die Bauherrschaft damit weitgehende Gewissheit über die tatsächliche Rechtskraft des Bauentscheids.

 

Autorin: Sabrina Bernet-Maurer

 
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