Weg oder Strasse? Eine Abgrenzung mit weitreichenden Folgen
Die Unterscheidung zwischen einem Weg und einer Strasse kann für bauwillige Grundeigentümer von grosser Bedeutung sein. Ein kurzer Überblick über die relevanten Unterscheidungskriterien und mögliche Fallstricke.
Zum Zweck der Wohnhygiene und Verkehrssicherheit haben Gebäude einen ausreichenden Abstand zu Strassen und Wegen einzuhalten. Dieser Abstand wird nach dem Zürcher Planungs- und Baugesetz (PBG) in erster Linie durch die bestehenden oder noch nötigen Baulinien bestimmt (§ 264 PBG). Wo solche fehlen und auch die jeweilige Bau- und Zonenordnung keine Abstände vorschreibt, legt das PBG die geltenden Mindestabstände fest: Zu öffentlichen Strassen und Plätzen haben oberirdische Gebäude einen Abstand von 6 m einzuhalten, gegenüber Wegen einen Abstand von 3.5 m.
Das PBG definiert die Begriffe „Strasse“ und „Weg“ nicht. Griffige Abgrenzungskriterien mussten sich aus Rechtsprechung und Praxis herauskristallisieren. Einen wegleitenden Schritt dazu leistete das Zürcher Verwaltungsgericht mit dem Entscheid BEZ 1982 Nr. 20. Darin hielt es fest, dass die Abgrenzung zwischen Strasse und Weg sich nicht nach der oft inkonsequenten Bezeichnung in Strassennamen oder im Grundbuch richte. Vielmehr sei neben dem technischen Ausbau der Verkehrsanlage vor allem die Zweckbestimmung, insbesondere die Erschliessungsfunktion der Anlage von Bedeutung. Während unter Strasse eine vornehmlich dem Fahrzeugverkehr dienende und entsprechend ausgestaltete Verkehrsanlage verstanden werde, diene ein Weg primär dem Fussgänger- und Radfahrerverkehr und habe nur wenig Motorfahrzeugverkehr aufzunehmen.
Im Zusammenhang mit dieser Abgrenzung dienten bis zum Inkrafttreten der Verkehrserschliessungsverordnung (VErV) am 1. Juni 2020 die Zugangsnormalien vom 9. Dezember 1987 (ZN) als Richtlinie. Es wurde daher auf die im dortigen Anhang nach der Anzahl erschlossener Wohneinheiten aufgeführten Zufahrtsarten abgestellt. Ein Zufahrtsweg reichte für die Erschliessung von bis zu 10 Wohneinheiten aus, in mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erschlossenen Quartieren mit dichter Bebauung sogar zur Erschliessung von bis zu 30 Wohneinheiten.
Mit dem Erlass der VerV wurde der Anwendungsbereich für Zufahrtswege bis auf 50 Wohneinheiten erweitert. Durch den Gemeindevorstand kann dieser Wert gestützt auf § 10 Abs. 3 VerV auf bis zu 100 Wohneinheiten erhöht werden. Angesichts dieser gegenüber der Zugangsnormalien deutlichen Erhöhung eigne sich die VerV bzw. deren Anhang gemäss verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung nicht länger als Richtlinie für die Abgrenzung zwischen Strasse und Weg im Sinne von § 265 Abs. 1 PBG. Eine Zufahrt mit einer derartigen Erschliessungsfunktion diene offensichtlich vorwiegend dem Motorfahrzeugverkehr.
Bei der Frage, ob es sich bei einer Verkehrsanlage um eine Strasse oder einen Weg handelt, stellen die Gerichte somit auch unter der Geltung der VerV darauf ab, ob eine Verkehrsanlage primär dem Fussgänger- und Radfahrerverkehr oder dem Motorfahrzeugverkehr dient. Mit Blick auf die Erschliessungsfunktion dienen nach wie vor die erwähnten Grenzwerte von 10 bzw. 30 Wohneinheiten als Richtlinie.
Knifflige Fragen im Einzelfall
Bauherrschaften sind dementsprechend gut beraten, sich über die umliegenden Wohneinheiten, welche durch Verkehrsanlagen erschlossen sind, an welche auch das eigene Grundstück grenzt, ein Bild zu verschaffen. Denn wo man fälschlicherweise mit einem Weg- anstatt einem Strassenabstand plant und sich im Bewilligungsverfahren oder gar erst im Rechtsmittelverfahren herausstellt, dass das Bauvorhaben zu nahe an einer Strasse steht, droht der Entzug der Baubewilligung und eine damit verbundene kostspielige Neuprojektierung.
Wie viele Wohneinheiten sich auf einem Grundstück befinden, lässt sich relativ einfach auf der Gebäudestatus-Karte des Geoportals des Bundes (geo.admin.ch) herausfinden. Je nach Konstellation können sich indes knifflige Fragen stellen, die es einzelfallweise auszulegen gilt:
Berücksichtigt man eine Wohneinheit, für die weder auf dem Grundstück selbst noch auf der fraglichen Verkehrsfläche eine Parkmöglichkeit für ein Motorfahrzeug besteht?
Wie weit darf man eine grössere Verkehrsanlage in einzelne funktionale Abschnitte gliedern, und nur die über diesen Abschnitt erschlossenen Wohneinheiten berücksichtigen?
Welcher Verkehrsanlage sind Wohneinheiten eines Grundstücks zuzuordnen, welches an zwei gegenüberliegende Verkehrsanlagen angrenzt? Und wie sieht es aus, wenn die Adressierung in einem solchen Fall über die Anlage auf der einen Seite erfolgt, die Ausfahrt für Motorfahrzeuge aber auf die Anlage auf der anderen Seite führt?
Bei der Beurteilung solcher und weiterer Fragen rund um die baurechtlichen Abstandsvorschriften stehen wir Ihnen gerne beratend als auch im Rahmen der Interessensvertretung zur Seite.
Autor: Remi Nutt