Die Eisenbahn fährt ein… und mit ihr die Probleme?
Im Viertelstundentakt mit der S-Bahn zum Arbeitsplatz oder mit dem Tram direkt ins Einkaufszentrum, bequem und umweltschonend. Wie praktisch, wird sich mancher Nutzer denken. Was aber, wenn die Bahn plötzlich über das eigene Grundstück fahren soll? Dieser Beitrag befasst sich mit den Rechten von Betroffenen im eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren und soll dazu dienen, einen ersten Überblick über praktische Problemstellungen zu vermitteln, um mögliche Fallstricke zu vermeiden.
Der öffentliche Verkehr geniesst in der Schweiz eine hohe Bedeutung. Alltäglich pendelt eine Vielzahl Arbeitnehmender mit dem Intercity von einer Stadt zur nächsten oder nutzt die S-Bahn in die Ballungsgebiete. Im Stadtverkehr bietet das Tram eine praktische Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Fahrdienstleistungen. Jährlich wächst das System öffentlicher Verkehrsmittel und auf politischer Ebene werden Vorstösse eingereicht, was noch verbessert werden soll. Der öffentliche Verkehr wird denn hierzulande auch teilweise als „heilige Kuh“ bezeichnet.
Doch alles hat seinen Preis. Infrastrukturprojekte wie ein Ausbau der S-Bahn oder auch der Bau einer neuen Tramlinie entstehen nicht im unbebauten Gebiet, sondern eben gerade dort, wo auch mögliche Nutzer zu finden sind. Und hier beginnen meist die Probleme, denn wohl kaum ein Eigentümer freut sich, wenn seine Liegenschaft einer Eisenbahntrasse weichen oder der Parkplatz des Mieters vor der Mietliegenschaft verschwinden soll. Und was dabei im kollektiven Bewusstsein oft vergessen geht: konzessionierten Eisenbahnunternehmen steht zur Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags das Enteignungsrecht zu. Es steht somit nicht im Belieben des Betroffenen, ob er sein Land hergeben will oder dies verweigert; über die Zulässigkeit und Folgen der Beanspruchung von Privateigentum wird – im Anwendungsbereich des Bundesrechts – in einem eigens dafür vorgesehenen zweistufigen Verfahren – dem Plangenehmigungsverfahren – entschieden.
Soweit das kantonale Recht anwendbar ist, bestehen teilweise Abweichungen zu nachstehenden Ausführungen, auf die in diesem Beitrag nicht weiter eingegangen wird.
Grundlage von Infrastrukturbauten im Bereich des Eisenbahnverkehrs
Wer bauen will, benötigt grundsätzlich eine Baubewilligung. Dieser vereinfachte Satz, welcher landläufig bekannt ist, gilt auch für die Eisenbahn oder wie es im Eisenbahngesetz heisst, dürfen Bauten und Anlagen, die ganz oder überwiegend dem Bau und Betrieb einer Eisenbahn dienen, nur mit einer Plangenehmigung der Aufsichtsbehörde erstellt oder geändert werden. Das eisenbahnrechtliche Plangenehmigungsverfahren ist somit das Pendent zur kommunalen Baubewilligung, welche etwa für die Erstellung von Wohnhäusern benötigt wird.
Die rechtlichen Grundlagen finden sich im Wesentlichen im Eisenbahngesetz und im Enteignungsgesetz des Bundes.
Wie wird man über eisenbahnrechtliche Plangenehmigungsverfahren informiert?
Wie im «ordentlichen» Baubewilligungsverfahren verlangt auch das Eisenbahngesetz im ordentlichen Verfahren grundsätzlich eine Publikation bzw. öffentliche Auflage der Projektunterlagen während dreissig Tagen. Veränderungen, die das Projekt im Gelände bewirkt, sind sodann vor der öffentlichen Auflage durch Aussteckung sichtbar zu machen.
Das Enteignungsgesetz schreibt ferner vor, dass der Enteigner jedem aus dem Grundbuch und den sonstigen öffentlichen Büchern ersichtlichen oder ihm sonst bekannten zu Enteignenden vor der Publikation des Gesuchs eine Kopie des Publikationstextes zuzustellen und anzugeben hat, was er von jedem einzelnen verlangt (sog. persönliche Anzeige). Eigentümer von betroffenen Liegenschaften sind dementsprechend weitgehend vor Überraschungen geschützt.
Bei Mietern oder Pächtern wird es schon komplizierter. Soweit entsprechende Vertragsverhältnisse nicht im Grundbuch vorgemerkt sind, was meist nicht der Fall ist, so haben die Vermieter und Verpächter ihren Mietern und Pächtern sofort nach Empfang der persönlichen Anzeige davon Mitteilung zu machen und den Enteigner über solche Miet- und Pachtverhältnisse in Kenntnis zu setzen. Der Mieter oder Pächter ist somit grundsätzlich darauf angewiesen, dass sein Vertragspartner dieser Pflicht nachkommt, ansonsten der Informationsfluss nicht im gesetzlichen Sinne verläuft. Gerade für Mieter kann es daher empfehlenswert sein, sich selbst aktiv um Information zu bemühen und gegebenenfalls einen Blick ins kantonale Amtsblatt zu werfen, wenn plötzlich Aussteckungselemente (farblich gekennzeichnete Pflöcke oder Profile) auf der Mietliegenschaft zu finden sind; zumeist werden entsprechende Infrastrukturprojekte denn auch medienwirksam angekündigt und von (anderen) Betroffenen kommentiert.
Zu beachten ist, dass mit der Planauflage bzw. persönlichen Anzeige der Enteignungsbann verknüpft ist; tatsächliche und rechtliche Verfügungen über, welche die Enteignung erschweren, sind nur noch mit Zustimmung des Enteigners möglich. Wer also gerade selbst ein Bauprojekt zu realisieren gedenkt, wird womöglich durch eine Enteignung ausgebremst bzw. sieht sich plötzlich mit einer weiteren quasi-«Bewilligungsbehörde» konfrontiert.
Was ist nach Kenntnisnahme der Planauflage zu tun?
Während der öffentlichen Auflage kann gegen das Projekt Einsprache erhoben werden. Gleichzeitig können während der Auflagefrist – d.h. während dreissig (30) Tagen – Begehren nach Enteignungsgesetz geltend gemacht werden.
Zur Einsprache berechtigt sind alle Betroffenen, denen etwa dingliche Rechte an Grundstücken, aus dem Grundeigentum hervorgehende Nachbarrechte oder persönliche Rechte als Mieter oder Pächter der von der Enteignung betroffenen Grundstücke dauernd oder vorübergehend entzogen werden sollen; mithin sämtliche Personen, die durch die Projektpläne berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben. Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Natur sein.
Dies klingt erstmal harmlos. Welche Wichtigkeit der Einhaltung der Einsprachefrist allerdings zukommt, wird klar, wenn die Konsequenz deren Nichtbeachtung berücksichtigt wird.
Denn wer keine Einsprache erhebt, ist vom weiteren Verfahren ausgeschlossen und verwirkt damit sein Recht zur Einsprache und dem Stellen von Begehren.
Nachträgliche Einsprachen und Begehren sind nur bei triftigen Gründen zulässig. Immerhin verwirken Entschädigungsansprüche hinsichtlich Rechte, die sich offensichtlich aus dem Grundbuch ergeben nicht; dies bedeutet jedoch nur, dass der Betroffene gleichwohl eine Entschädigung erhält, die Enteignung selbst (in Umfang und Ausgestaltung) kann damit aber gleichwohl nicht mehr hinterfragt werden.
Wer also Begehren stellen und/oder Ansprüche geltend machen möchte, ist gut beraten, diese innert Frist anzumelden. Simpel ist dies freilich nicht. Zwar verlangt das Enteignungsgesetz vom Enteigner, dass er dem Betroffenen gegenüber angibt, in welcher Form dieser von der geplanten Enteignung betroffen ist. Diese Vorschrift begünstigt allerdings lediglich Eigentümer, Inhaber dinglicher Rechte oder Mieter, die im Grundbuch ersichtlich sind; alle weiteren Betroffenen (insbesondere Mieter oder Pächter) werden nicht berücksichtigt, zumal der Enteigner diese gar nicht kennt bzw. aus öffentlichen Büchern ersehen kann. Unbesehen davon: In welchem grösseren Kontext die jeweilige Betroffenheit zu sehen ist, ergibt sich zumeist nur in Verbindung mit weiteren Akten, die Gegenstand der Planauflage sind. Selbst bei kleineren Projekten umfasst die Planauflage in der Regel Projektbeschreibung, technische Analysen, planliche Darstellungen und Dokumentation betreffend Erwerb von Rechten im Gesamtumfang von mehreren hundert Seiten. Sich darin zurecht zu finden und diese richtig zu interpretieren, erweist sich angesichts der verhältnismässig kurzen Einsprachefrist von dreissig (30) Tagen als eigentliches piece de résistence.
Was kann im Rahmen der Einsprache geltend gemacht werden?
Begehren, die das Projekt an sich zu Fall bringen sollen, weil der Betroffene damit nicht einverstanden ist, sind zwar möglich, aus naheliegenden Gründen in den allermeisten Fällen aber zum Scheitern verurteilt. Ein Werk, das dem Bahnverkehr dient, ist von öffentlichem Interesse; entgegenstehende private Interessen müssen sich zumeist unterordnen bzw. als Einschränkung der Grundrechte hingenommen werden. Wäre dies anders, dürfte kaum je ein Infrastrukturprojekt realisiert werden können.
Durchaus intakte Erfolgschancen haben dagegen Begehren, die Projektanpassungen zum Ziel haben oder den Bauablauf betreffen. Dies insbesondere dann, wenn aufgezeigt werden kann, dass mit weniger gravierenden Massnahmen dasselbe Ziel erreicht werden kann oder Massnahmen sich als nicht notwendig oder gar kontraproduktiv erweisen. Typischerweise geht es dabei um Fragestellungen, die nur anhand der örtlichen Verhältnisse geprüft und schlüssig beantwortet werden können. Etwa wenn z.B.
a) beabsichtigt wird, eine Parzelle eines Betroffenen für den Bau eines Trams in Anspruch zu nehmen, was den Wegfall von Parkflächen auf der betroffenen Liegenschaft zur Folge hat, auf der gegenüberliegenden Strassenseite hingegen derselbe Raum mit weniger gravierenden Konsequenzen in Anspruch genommen werden könnte;
b) Stützmauern bei gleichem Effekt in ihrer baulichen Dimension auch verkleinert werden und deren optische Wirkung für die Betroffenen gleichzeitig verbessert werden könnten (Begrünung statt kahler Beton);
c) Veränderung der Verkehrsführung des Baustellenverkehrs (als vorübergehende Inanspruchnahme von Grund und Boden) etwa zur Trennung von Baustellenverkehr von Kundenverkehr bei gewerblich genutzten Flächen (Gefahrenabwehr);
d) Verpflichtung zur Aufnahme einer amtlichen Bestandesaufnahme des Zustands eines Gebäudes und dessen Umgebung vor und nach Bautätigkeit (namentlich Rissprotokoll).
In gewissen Fällen hat der Betroffene kein Interesse an einem «weniger», sondern einem «mehr», sodass er auch eine Ausdehnung der Enteignung beantragen kann. Entsprechende Begehren sind zulässig, jedoch spätestens innert Auflagefrist zu stellen und genau zu bezeichnen. Solches wird sich etwa dann aufdrängen, wenn eine verbleibende Restfläche für den bisherigen Eigner keinen Nutzen mehr zu erbringen vermag.
Schliesslich sind Entschädigungsforderungen geltend zu machen und nach Möglichkeit zu beziffern. In erster Linie geht es dabei um die Entschädigung für Landerwerb (bei definitiver Enteignung) oder vorübergehende Nutzung von Parzellenflächen. Geltend gemacht werden können aber auch etwa Ausfälle, die der Vermieter erleidet, weil seine Mieter für die Bauzeit ihm gegenüber Mietzinsherabsetzungsansprüche geltend machen und/oder ein allfälliger Minderwert einer (nach der Enteignung kleineren) Restliegenschaft. Schliesslich sind Mehrkosten zu berücksichtigen, welche ein bewilligtes Bauprojekt durch Anpassungen des Bauprogramms bzw. der Baustelleninstallation womöglich zu vergegenwärtigen hat. In der Praxis lassen sich Entschädigungsansprüche zum Zeitpunkt der Einsprache meist nicht abschliessend beziffern, insbesondere dann nicht, wenn über den Umfang der Inanspruchnahme des zu enteignenden Rechts selbst noch gestritten wird. Die entsprechende Entschädigungsforderung kann in einem solchen Fall auch später noch beziffert werden.
Wie geht es nach der Einsprache weiter?
Grundsätzlich gliedert sich das Verfahren in zwei Teile. Vorab wird im Rahmen der Plangenehmigung über die eingegangenen Einsprachen bzw. Begehren entschieden; es wird mithin über die Zulässigkeit und den Umfang der zwangsweisen Beanspruchung von Privateigentum durch den Enteigner entschieden. Über umstritten gebliebene Entschädigungsforderungen wird erst hernach im Schätzungsverfahren vor der Schätzungskommission entschieden.
In den allermeisten Fällen wird sich der Enteigner jedoch von selbst bemühen, nach Eingang einer Einsprache auf Einsprecher zuzugehen und im Rahmen ausseramtlicher Gespräche eine Lösung zu suchen; soweit die Einsprache sich gegen die geplante Enteignung richtet, ist der Enteigner von Gesetzes wegen verpflichtet, sich vorgängig zur Enteignung um einen freihändigen Erwerb der erforderlichen Rechte zu bemühen. An einem langwierigen Verfahren (einschliesslich jeweils Instanzenzugs mit mehreren Rechtsmitteln) besteht auch seitens Enteigners kein Interesse.
Fazit
Wer mit einem eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren konfrontiert wird – sei es, weil er eine Anzeige des Enteigners erhält oder von einem Projekt, welches in unmittelbarer Nähe zur eigenen Liegenschaft, Mietwohnung oder Gewerbebetriebs geplant ist, erfährt – sollte sorgfältig prüfen, welche Auswirkungen ein solches Projekt auf die eigene Rechtsposition womöglich zur Folge hat.
Die Prüfung der Betroffenheit und der konkreten Auswirkungen erweist sich dabei meist als kniffliges Unterfangen, zumal die Akten regelmässig einen beträchtlichen Umfang erreichen und in planlicher Hinsicht zuweilen komplex sind. Als juristischer Fallstrick erweist sich dabei oft, dass die Einsprachefrist mit dreissig (30) Tagen durchaus kurz ist und die Rechtsfolge bei deren ungenutzten Ablauf mit dem Verwirken allfälliger Ansprüche für den Betroffenen sehr hart sein kann.
Die Situation jedes Betroffenen sollte demnach umgehend individuell und eingehend geprüft werden. Hernach kann bestehender Handlungsbedarf identifiziert und unter Beizug von juristischem Rat über das weitere Vorgehen entschieden werden.
Last but not least: Guter Rat ist nicht teuer: Die Anwaltskosten des Enteignungsverfahrens sind – offensichtlich missbräuchliche Begehren vorbehalten – als notwendige aussergerichtliche Kosten und hernach bis und mit Bundesverwaltungsgericht unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vom Enteigner angemessen zu entschädigen. Selbst wenn die in der Gerichtspraxis zugesprochenen Entschädigungssätze die Anwaltskosten nicht vollumfänglich decken, sind diese im Vergleich zu möglichen Kosten bzw. Verlusten aus Verwirkung von Rechten äusserst bescheiden.
Ergo: Rechtzeitiges Handeln lohnt sich!
Gerne stehe ich Ihnen bei Fragen im Zusammenhang mit eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren sowohl beratend als auch im Sinne der Interessenvertretung im Verfahren zur Verfügung.
Autor: Christian Kreher